FRAGE
C. M. aus M. schreibt:
Nachdem meine Tochter zum Studieren in eine andere Stadt gezogen ist, hat sie den Kontakt zu mir komplett abgebrochen. Das zerreißt mir das Herz. Auf meine Anrufe reagiert sie nicht. Nur einmal hat sie mir mitgeteilt, dass sie mit mir nichts mehr zu tun haben möchte. Ich war alleinerziehend und ich dachte, wir hätten eine gute Beziehung zueinander gehabt. Ich bin am Boden zerstört. Ich habe meine Tochter verloren und ich weiß nicht, warum. Ihr Schweigen ist das Schlimmste. Was könnte aus Ihrer Sicht dahinter stecken? Wie ist ihr Verhalten erklärbar? Vielen Dank!
ANTWORT
Psychotherapeut und Coach Joachim Armbrust (Dipl.-Soz., Hp.-Psych) und Sozialarbeiterin Sandra Rose antworten:
Liebe Frau M., das tut uns sehr leid, und wir wollen versuchen, verschiedene Gründe für ein solches Verhalten zu beleuchten. So können Sie für sich selbst herausfinden, wo bei Ihnen und Ihrer Tochter die Gründe liegen könnten.
Überfürsorge
Manchmal agieren Eltern rechthaberisch, wollen ihr Kind mit ihren Vorstellungen überformen, dorthin zwingen, wo sie denken, dass es richtig für seine Entwicklung wäre. Ein zweiter Grund könnte sein, dass es über die gemeinsame Lebensgeschichte hinweg viele Verletzungen gab, die das Kind notgedrungen hinnehmen musste und sich jetzt stark genug fühlt, zu opponieren. Es könnte aber auch sein, dass ganz frische Erlebnisse Ihre Tochter vor den Kopf gestoßen haben und sie sich deshalb zurückzieht. Ein anderer Grund könnte sein, dass Sie mit Überfürsorglichkeit zu nah an dran sind und veränderte Grenzbedürfnisse nicht wahrnehmen oder nicht respektieren. Auch möglich, dass Ihre Tochter meint, Sie könnten sich nicht wirklich auf sie und ihre Probleme einlassen, weil sie in Ihrem eigenen Weltbild und in Ihren eigenen Lebensbewegungen gefangen sind: „Du verstehst mich einfach nicht!“
Eigene Ideen haben
Mein Sohn hatte mit ungefähr 16 Jahren eine rund einjährige Phase, in der er nicht – oder jedenfalls nur wenig Wesentliches, was ihn persönlich betraf – mit mir besprach. Das beschäftigte mich natürlich und ich fragte mich, was ich dazu beigetragen hatte. Zunächst musste ich das aber einfach akzeptieren. Er zeigte mir recht deutlich, dass er sich nicht zwingen lassen würde. Später sagte er mir, dass, wenn er mir etwas erzählte, ich ihn immer gut verstanden und meist auch praktikable Ideen gehabt hätte. Das meiste leuchtete ihm auch ein – zumindest im ersten Moment. Beim nochmaligen Nachdenken aber, hätte es sich für ihn immer komisch angefühlt. Klar. Es waren eben nicht seine Ideen und Gedanken. Auch hätte ich immer sehr viel schneller Worte für seine Anliegen gehabt als er. Irgendwann beschloss er deshalb, sich Zeit zu nehmen, selbst auf Ideen und Lösungen zu kommen und alles zu erforschen. Wie ich meine, eigentlich ein ganz gesundes und nachvollziehbares Anliegen und ein Schritt in die Eigenverantwortung.
Schwarzmalen
Zwei weitere „Fehler“, die wir Eltern begehen können: Der erste ist, dass wir die Zukunft der uns anvertrauten Jugendlichen schwarzmalen, dass wir ihnen das Entwicklungspotenzial absprechen, das sie brauchen, um aus einer Krise zu kommen. „Bei dir konnte man ja auch mit nichts anderem rechnen.“ „Es wundert mich nicht, dass gerade du stecken bleibst.“ Oder dass wir ihnen bedrohliche Szenarien weissagen, wohin das momentane, jugendliche Handeln führen könnte. Oder wir holen die schlimmste Keule heraus: Indem wir Illoyalität und Fragen der Dankbarkeit unsichtbar ins Feld stellen, stellen wir die Sicherheit unserer Beziehung zueinander in Frage: „Du hast mich unglaublich enttäuscht.“ Anstatt dass wir ihnen vertrauen, ihnen zutrauen, dass sie die Klippen meistern können, bringen wir sie in einen Loyalitätskonflikt mit uns. Viel hilfreicher wäre natürlich, an sie zu glauben und sie zu bestärken: „Glaube mir, das ist eine vorübergehende Krise. Du wirst sehen, wenn du deine Fragen einige Tage ruhen lässt, wirst du auch wieder die Sonne sehen hinter den Wolken und es werden sich Einsichten und Antworten eröffnen.“ Vielleicht wäre es besser, ihnen zu sagen, dass wir Angst um sie haben in diesen neuen Zeiten, und dass wir in unserer Anspannung gerne auf „alte Sicherheitsvorstellungen“ setzen, um die Gefahren des Lebens vorzeitig für unser Kind auszubremsen.
Wir bleiben alle Suchende
Folgenden Punkt möchten wir auch noch zu bedenken geben: Wir Eltern stellen uns gerne mal auf der sicheren Seite stehend dar: Als ob wir es selbst für immer geschafft hätten. Als ob man im Leben jemals fertig werden könnte und nicht bis zum Ende unserer Tage Suchende und Verunsicherte bleiben würde. Sich selbst als Suchender zu präsentieren, der immer wieder auch selbst das Gleichgewicht verliert und es neu finden muss, schafft einerseits Solidarität, weil wir dann mit den Jugendlichen gemeinsam Suchende sind und andererseits schafft es Glaubwürdigkeit. Denn die Jugendlichen sehen sehr wohl, wie wir uns selbst in unserem Leben verhalten.
Grundsätzliches über Jugendliche: Autonomie
Eine kleine Überlegung zum „Älter werden“: Wenn Kinder in die Welt kommen, fallen sie in eine zunächst fremde Welt. Instinktiv wissen sie, dass sie ohne Eltern nicht groß werden können. Sie passen sich an die vorgegebenen Räume an, versuchen nicht mehr zu spüren, was nicht gespürt werden soll, lassen sich stoppen und ermahnen, weil sie erwachsene „Funktionsräume“ verletzt haben. Sie bilden eins zu eins die Kultur ab, in die sie hineinwachsen oder anders gesagt, die ihnen die Eltern vorgeben. Wenn sie dann andere „Kulturräume“ kennenlernen – heute oft schon im Alter von sieben spätestens aber mit zwölf Jahren – beginnen sie, zu vergleichen, Unterschiede zu sehen und zu spüren und sie fangen an über sich, über ihre Eltern nachzudenken. Dann lehnen sie bestimmte Verhaltensweisen der Eltern ab, wollen anders sein. Sie wollen von ihnen als größer akzeptiert und respektiert werden. Werden sie mit diesen neuen Autonomiebewegungen nicht wahr und ernst genommen, ziehen sie sich zurück und schotten sich ab. Sie wollen sich dem elterlichen Ordnungs- und Deutungsrahmen nicht länger unhinterfragt anpassen. Johann Wolfgang von Goethe sagte einmal: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Wir würden heute noch dazu fügen: „oder von deinen Müttern“. Aber was meint er damit? Ganz einfach: Wer erwachsen werden will, muss die vermittelten Werte seiner Eltern auf die Probe stellen, gegen sie handeln, sie außer Kraft setzen, sie hinterfragen, um erprobend herauszufinden, welche davon er verabschieden will, welche sich für ihn bewähren und welche neuen Werte sich so vielleicht für ihn ergeben.
Drehbuchautor
Jugendliche bzw. Heranwachsende möchten Drehbuchautor der eigenen Lebensgeschichte werden, auch wenn dies gleichzeitig oft als herausfordernd und überfordernd erlebt wird. Nicht selten habe ich mit Jugendlichen und ihren Eltern zu tun, die sich miteinander verhaken, die sich ständig miteinander streiten und aneinander hochgehen. Sehr schnell komme ich mit ihnen an den Punkt, an dem sichtbar wird, dass sich die beiden Parteien, Eltern und Jugendlicher, gegenseitig unterstellen, dass der andere aus bösem Willen handelt. In solchen Situationen ist es meist hilfreich, wenn ich sichtbar mache, was sich in den Beziehungen zueinander im Moment vollzieht, nämlich, dass dort grundlegende Veränderungen im Untergrund am Werk sind, die, wenn sie von den Eltern nicht erkannt werden, großen und bleibenden Schaden anrichten können. Ich sage dann immer, wenn die Kinder klein sind, sind sie darauf angewiesen, dass die Eltern, allem, was sie mit dem Kind erleben, Sprache verleihen. Es sind die Eltern, die zunächst zum Ausdruck bringen, was das Wesen des Kindes ausmacht: „Er war immer still und brav wie ein Mädchen.“ „Er hat immer schon etwas mit sich allein anfangen können, hat gestrampelt und dabei gegluckst vor Freude.“ „Sie konnte brüllen wie am Spieß und man wusste ganz genau, was sie jetzt wollte.“
Das sind natürlich nur einige Beispiele, die deutlich machen, wie die Eltern, mit der Art, wie sie wahrnehmen, mit der Art, wie sie Bilder für das Kind entwickeln im Zusammenhang mit ihrem eigenen Erlebten, dem Kind und den Situationen mit dem Kind Bedeutung geben. Dabei haben sie natürlich auch ihre bevorzugte Brille auf. Das heißt, in die Wahrnehmung der Eltern schleicht sich von Anfang an auch Bewertung ein. Die Kinder sind auf die Eltern angewiesen. Natürlich wollen sie es den Eltern recht machen und wenn die Eltern immer wieder bestimmte Dinge in und an ihnen entdecken, an denen sie sich dann auch noch erfreuen, versuchen die Kinder natürlich, Situationen herzustellen, die zu ähnlichen Erfahrungen und Bestätigungen führen. Es ist in den meisten Fällen ja auch gut so, dass die Eltern die Welt des Kindes deuten und seine Erfahrungen und Erlebnisse versprachlichen. Es ist auch gut, dass sie bestimmte Eigenschaften oder Wesenszüge aus ihm „heraus lieben“. Woher sonst, wenn nicht von den Eltern, sollen die Kinder wissen, wer sie sind, wer sie sein könnten, was sie ausmacht, was sie auszeichnet, wofür sie prädestiniert sind, was ihre Schwächen und Stärken sind, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten?
Vorgedacht samt Deutungshoheit
Was sich dadurch aber eindeutig ereignet, ist, dass die Eltern zunächst einmal zum Drehbuchautor der Lebensgeschichte ihrer Kinder werden, nach rückwärts aber auch nach vorwärts. Sie kleiden das gemeinsam Erlebte ein in Zusammenhänge, schmücken es mit Bildern aus und entwerfen Bilder in die Zukunft. Ob das Kind das will oder nicht, hier werden Bahnen des eigenen Selbsterlebens, aber auch des Handelns durch die Eltern gelegt oder zumindest nahegelegt, Lebensentwürfe vorgedacht und Wege vorgezeichnet. Dem Kind wird ein Eigenartenfeld oder auch ein Wesensfeld zugewiesen auf dem es sich tummeln darf. In der einen Familie offener formuliert, mit viel Spielraum und Abweichungsmöglichkeiten darin, in der anderen Familie wird sehr strikt verlangt, dass das Kind sich an die eingespielte Rolle, an die bereits gefundenen Bilder, über das, was das Kind ausmacht, einfügen muss und es sind keine abweichenden Sprünge erlaubt.
Sicher kommen die Kinder auch schon vor der Pubertät in andere Verhältnisse, in andere Familien, in den Kindergarten, in die Schule, in Vereine, in die Nachbarschaft, zu Freunden der Familie und selbstverständlich begegnen sie auch dort Bildern über sich selbst und selbstverständlich trägt der sich erweiternde Rahmen dazu bei, dass die Bilder der Eltern sich in der Realität abschleifen und zurechtstutzen und oftmals unzutreffende Wahrnehmungen von außen korrigiert werden. Trotzdem kommt es immer wieder, ja, sogar ziemlich oft vor, dass sich Festschreibungen bis in die Pubertät hinein erhalten.
Stichhaltigkeit überprüfen
Ausgerechnet in einer Phase, in der sie sich von allem Gewordensein und somit auch von allen äußeren Strukturen zurückziehen wollen, um – wie Goethe so schön sagte – zu prüfen, wie stichhaltig und nachhaltig das tatsächlich ist, was man von der (Groß-)Eltern-Generation oder den Ahnen als Kulturgut vermittelt bekommen hat, wird ihnen überhaupt kein Spielraum dazu gelassen. Doch nur, wenn sie alles, was man ihnen als richtig vermittelt hat, auf Herz und Nieren prüfen dürfen; nur wenn sie herausfinden können, dass an dem vermittelten Wissen doch etwas dran ist und dass die eingespielten Traditionen einen Sinn haben, nur dann können sie sich dafür entscheiden, sich dort wieder hinein zu begeben und sich die Werte unserer Gesellschaft so zu eigen zu machen, dass sie selbst als erwachsene Menschen dafür einstehen wollen.
Pubertiere sind wie Einsiedlerkrebse
Für mich ist die Situation des Jugendlichen sehr ähnlich der eines Einsiedlerkrebses. Der Einsiedlerkrebs ist ein schalenloser Krebs, der sich zu seinem Schutz leere Schneckenhäuser sucht. Natürlich sucht sich der kleine Krebs ein kleines Schneckenhaus. Wenn er denn größer wird, wird ihm dieses Schneckenhaus zu klein. Sicher zögert er den Umzug hinaus, solange er kann, aber irgendwann ist es endgültig zu eng geworden und er muss das geliebte und gewohnte Schneckenhaus verlassen, um sich ein neues Heim zu suchen, das ihm den notwendigen Schutz bietet. Das Schlimme dabei ist allerdings, dass er, wenn er das Schneckenhaus verlässt, nicht weiß, ob er ein passendes, neues Schneckenhaus findet, das ihm den erwünschten, geschützten Wiedereinzug ermöglicht. In der Zwischenzeit, ohne Haus, ist er ein gefundenes Fressen für die Möwen, die den ganzen Tag nichts anderes tun, wie die Ebbe abzuwarten, um nach ebensolchen, ungeschützten Einsiedlerkrebsen zu suchen. Er ist ihnen, sollten sie ihn entdecken, schutzlos ausgeliefert.
Der Heranwachsende Jugendliche spürt auch: das Kindsein ist endgültig vorbei, es ist unaufhaltsam verloren. In den Momenten, in denen er sich dessen voll und ganz gewahr wird, fühlt auch er oder sie sich schutzlos ausgeliefert. So ist ihr oder ihm peinlich, dass alle diese Schutzlosigkeit unmittelbar miterleben können. Sogar der kleine Bruder oder die kleine Schwester machen sich lustig. Deshalb gibt es immer wieder Momente, in denen der Jugendliche das vergessen machen möchte oder sich am liebsten wenigstens verkriechen möchte. Es ist so schwer, kein richtiges Zuhause mehr zu haben, das eine bereits verlassen zu haben und das andere noch nicht gefunden zu haben oder zumindest im Neuen noch nicht das vorherige Gefühl von Sicherheit wiedergefunden zu haben. Plötzlich fangen die Kinder an, verstärkt über sich nachzudenken und auch darüber, was die anderen über sie denken. Sie fangen an, eine Haltung einzunehmen, zu dem, was man ihnen sagt. Sie befürworten es oder sie weisen es zurück oder lehnen es ab.
Bastelbiographie und Selbstbildung – Biografie-Erwartung
Junge Menschen sind einerseits ganz gefangen im Hier und Jetzt ihrer körperlichen und psychischen Suchbewegung, erfüllt von inneren Bewegungen zu sich selbst hin, aber auch von Bewegungen hin zum anderen Geschlecht. Das ist aufregend und spannend und braucht nichts über den Augenblick hinaus. Und trotzdem findet parallel dazu ein Suchen nach Zukunftsbildern statt. Der junge Mensch bildet quasi nebenher Entscheidungs- und Suchräume aus, die seine Zukunft vorausgestalten. Er bastelt an möglichen Zukunftsidentitäten und überführt sie Schritt für Schritt auf Probe, experimentierend, ins Leben. Er findet hierfür unterschiedlichste Vorbilder im echten, leibhaftigen Leben, aber er stößt auch auf medial erzeugte Handlungsvorbilder, sei es nun über Kino, Fernsehen oder über Bücher, über Video oder über Internetforen. Er erprobt selbst ausgedachte Identitäten wie Kleidungsstücke und spürt die jeweiligen Rollen des Probehandelns ab auf ihre Wirksamkeit gegenüber Dritten. Er lernt erkennen, dass er, wenn er sich cool gibt, vielleicht eine besondere Außenwirkung erzeugt, dass bestimmte Mädchen nun besonders auf ihn achten, aber er erkennt vielleicht auch, dass so eine Rolle Erwartungen weckt, die nachher auch eingelöst werden wollen. Was dann sehr anstrengend sein kann. Außerdem kann über eine solch vorgespielte Rolle das Gefühl entstehen, sich nicht gemeint zu fühlen, außen vor zu bleiben usw.
Lifestyle-Ansprüche
Im Laufe des unterschiedlichsten Erprobens merken Jugendliche vielleicht auch, dass nicht alles, was sie gerne sein wollen, auch von ihnen ausgefüllt werden kann. „So witzig wie mein Freund Kai, werde ich sicher nie werden.“ Es beginnt über das Erproben und der damit verbundenen Auseinandersetzungsspannung des Wollens und Sein-Könnens, die Einsicht, dass es doch bestimmte Grundgrößen gibt, die mich ausmachen. Auch bestimmte Lifestyle-Ansprüche führen zu einem bestimmten, hochmotivierten Einsatz, ohne den sich die Ansprüche nicht einlösen lassen.
Also, vielleicht doch lieber etwas die Ansprüche senken, weil man auch eine bequeme Seite hat und nicht seine ganze Energie ins berufliche Fortkommen investieren will? Manchmal sind es auch die Biografie-Erwartungen der anderen an uns, von denen wir uns abgrenzen müssen und die zu einer Präzisierung unserer eigenen, angelegten Tendenzen führen: viel Geld verdienen, Macht haben, Einfluss haben, ein schönes Leben haben, Abitur machen, um es einfacher zu haben, die Welt retten, es genauso machen, wie die Eltern, es ganz anders machen wie die Eltern, sich treiben lassen, sich Zeit lassen, keine Kontur finden, zu früh Kontur finden, seinen Weg korrigieren wollen oder müssen. Es gilt, die eigenen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen, wie auch die Gegebenheiten dabei zu berücksichtigen und sie einzubeziehen in die Planung.
Wer nicht wagt …
Manchmal haben jungen Menschen das Vermögen der gesunden und realistischen Selbsteinschätzung, manchmal müssen sie auch erst erfahren, dass sie sich etwas vorgenommen haben, was sie nicht ausfüllen können oder wollen. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt – ist meist ihre Devise. Oder sie trauen sich nichts und trauern später über verpasste Gelegenheiten.
Eine Ausbildung anfangen, sie wieder abbrechen, noch eine Ausbildung machen, sich doch noch für ein Studium entscheiden, das alles ist möglich, wenn Eltern es mittragen und führt entgegen aller elterlichen Ängste irgendwohin. Im Geist Bildentwürfe zu kreieren für ein künftiges eigenes Leben, die verschiedene Zusammenhänge berücksichtigen – das halte ich für lebensnotwendig. Auch braucht es Anleitung und Unterstützung dabei, wie diese Bilder dann ins Leben finden können. Langer Atem, Durchhaltevermögen, Vertrauen, Hoffnung, tragende Wurzeln, Sinnerfüllung sind hier zentrale Stichworte, wenn es gelingen soll. Es ist also notwendig – neben dem Implementieren von ehrgeizigen Zielen – auch mit dazu beizutragen, dass Kinder ihre Wurzeln ins Sein, hin zu den Lebenskräften und Lebenswurzeln, aus denen wir im Notfall und auch sonst schöpfen können, pflegen und hüten.
Richtungswechsel
Immer wieder die Richtung zu wechseln, aufgrund von Ereignissen und das Leben neu zu denken, es vielleicht erst auch nur einer gedachten Veränderung zu unterziehen, ist etwas ziemlich Normales im Jugendalter. Das gehört einfach dazu. Ich behaupte sogar, dass nur, wer in dieser Weise geübt ist, in der modernen Welt in Zukunft noch zu Recht kommen kann. Immer wieder wird es Brüche und Veränderungen geben, die uns zwingen oder auffordern, uns ein neues Selbstkonzept zu schmieden und unsere Biografie neu zu denken und ins gelebte Leben zu holen.