Fleischersatz
Ecovative produziert auch einen Fleisch-ersatz unter der Marke „MyBacon“. Es soll einen ebenso hohen Proteingehalt haben wie Muskelfleisch, nur 20 Prozent des Fettanteils, dafür aber viele verdauungsförderliche Ballaststoffe. Der Erzeugerpreis soll mit
1 Dollar/Pound (1 Pound = 454 Gramm) unter dem Marktpreis für Schweinefleisch liegen. Während 1 Pound Schweinefleisch 600 Gallonen (1 Gallone knapp 4 Liter) Wasser erfordert, sollen es bei MyBacon nur ein paar Liter sein. Mycelium-Protein kann, im Gegensatz zu pflanzlichem Fleischersatz, eine ganze Reihe von Fleisch-sorten ersetzen. Dies hängt damit zusammen, dass die Myzelfasern je nach Dichte eine unterschiedliche Konsis-tenz aufweisen. Und da die Myzelfasern sehr ähnlich wie die Fasern von Muskelfleisch aufgebaut sind, soll es einen authentischen Kaugenuss bieten.
Ein weiterer Pluspunkt von Myzel-Fleisch ist, dass es nur minimal lebensmitteltechnisch prozessiert werden muss. Lediglich etwas Würze drauf und bon appetit! Sogar Veganer könnten hier zulangen, denn es handelt sich ja um ein rein pflanzliches Lebensmittel, das vollständig ohne irgendwelche schädlichen Chemikalien wie Pestiziden hergestellt wurde. Bis zum Jahr 2021 war MyBacon allerdings weltweit nur in einem einzigen Supermarkt erhältlich (in New York), was angesichts der vielen Vorteile von Myzel-Fleisch äußerst merkwürdig erscheint. Will man etwa keine unnötige Konkurrenz für die derzeit weltweit gehypten Speiseinsekten aufkommen lassen? Speiseinsekten bedeuten nichts anderes als Massentierhaltung mit den vielen fatalen Konsequenzen!
In den Ecovative Produktionsstätten 3 stehen bis auf einige Pressen und Gabelstapler eigentlich keine Maschinen. Es hat mehr was von einem Gartenbaubetrieb. Fachleute sprechen denn auch von „Vertical Farming“ (deutsch etwa: senkrechte Landwirtschaft). Im Wareneingang verzeichnet Ecovative organische Abfälle wie Holzspäne, Sägemehl, Spelz oder Hanffasern – alles Reste, die sonst weggeworfen werden. Diese werden in Behältern mit Pilzsporen und etwas Wasser besprüht und schon verrichtet die Natur ihr Werk. Das Myzel beginnt zu wachsen. Nach ein paar Tagen bis einigen Wochen sind die Pilzformen fertig für den Gebrauch. Die genaue Vorgehensweise beim Myzel-Wachstum ist Betriebsgeheimnis. Ecovative hält in 31 Ländern über 40 Patente. Weitere etablierte Myzel-Unternehmen sind zum Beispiel die Magical Mushroom Company 4, Grown.bio 5 und Bio Fab 6. Diese Unternehmen sind auch Lizenznehmer von Ecovative.
Pilz-Magier
Der Rohstoff Pilzmyzel scheint seine magische Kraft besonders auf krea-tive, innovative und engagierte Menschen auszuüben. Ein solcher ist der britische Ingenieur Ehab Sayed, der in seiner Master-Arbeit an der Universität die britischen Abfallströme untersuchte. Sayed war eigenem Bekunden zufolge schockiert, wie viele der nicht recycelbaren Abfälle aus der Bauindustrie stammen. Auf der Suche nach alternativen, recyclingfähigen Baumaterialien stieß er unweigerlich auf Pilzmyzel. Er gründete die Firma
Biohm 7, die heute unter anderem recyclingfähige Dämm-Platten aus Myzel herstellt. Sie dämpfen Schall, isolieren Wärme und sind ohne jegliche Additive feuerfest. Das alles tun sie ohne Umweltbelastung, quasi aus sich selbst heraus. Die Schalldämmung ist übrigens besonders gut bei 1 000 Hertz, dem Peak von Verkehrslärm.
Biohm arbeitet offenbar nach dem „Open Source“-Prinzip, das heißt, alle technischen Prozesse zur Erstellung von Myzel-Produkten sind öffentlich zugänglich. Ehab hofft, dadurch die gesamte Bauindustrie zu revolutionieren. Universitäten, Politik, Industrie und Allgemeinheit sollen laut Ehab an einem Strang ziehen. Nur über Kooperation seien die gravierenden Umweltprobleme lösbar. So wird beispielsweise angegeben, wie der Prozess der Myzel-Wachstumsphase gestartet wird. Bewährt hat sich, ein Stückchen Pilz in einer Petrischale mit einem Galactose-Polymer wie Agar (ein Fischleim) zu geben. Dadurch wird eine kräftige Myzelbildung unmittelbar angeregt. Diese Mischung wird dann später in einer Form (ähnlich einer Kuchenform) mit den organischen Abfällen vermengt. Das Myzel zersetzt bzw. verdaut die organische Substanz und bildet, wie schon oben gezeigt, ein verdichtetes dreidimensionales Netzwerk, das äußerlich einem Schwamm ähnelt. Nach einigen Tagen bis Wochen erhält man ein organisches, formbares Komposit, das thermisch stabilisiert werden kann, ja sogar muss. Denn wird der Myzel-Prozess nicht unterbrochen, so entsteht am Ende – Humus. Thermische Behandlung oder erhöhter Druck dagegen tötet das Myzel ab und beendet das Wachstum. Man sieht aber, dass bis zum Ende nur lebendige Substanzen im Spiel sind.