Persönlichkeit, Talente und Archetypen identifizieren

Das Gesicht ist ein offenes Buch

Der bekannte Gesichtslesemeister Eric Standop erzählt im Interview, welche vielfältigen Möglichkeiten und Themen im Gesicht zu lesen sind. Darüber erhält man Hinweise über die Persönlichkeit und
welche einzigartigen Talente einem im Gesicht stehen. 

raum&zeit-Interview mit Eric Standop, Karlsruhe, von Hilda Müller, Wolfratshausen

raum&zeit: Aus welcher Tradition kommt Deine Expertise als Gesichtsleser?

Eric Standop: Also erst mal kommt sie aus mir heraus, wie bei jedem. Ganz wichtig ist mir der Satz, dass jeder Gesichtsleser ist, der bewusst in andere Gesichter schaut und Informationen einsammelt. Der Hauptgrund, warum wir in Gesichter schauen, liegt darin, uns zu verbinden und Infos zu bekommen, weil diese oft glaubwürdiger sind, als Worte, die wir hören. 

Ich selbst habe bei drei Lehrern gelernt, die mich in ihrer Tradition des jeweiligen Kontinents ihre Technik gelehrt haben. Der erste war ursprünglich ein Deutscher. Dann hatte ich einen Kolumbianer als Lehrer, der mir in Südamerika seine Technik beibrachte. Die längste Zeit verbrachte ich bei einem Lehrmeister in Hongkong, bei dem ich sechs Jahre war. Wobei es insgesamt acht Jahre Lehrzeit waren, wenn man so will, denn zwischendurch hatte ich immer wieder ein oder zwei Monate frei, die ich damit verbrachte, die erlernten Techniken anzuwenden. Des Weiteren lernte ich in einem Onlinekurs in Berkeley unter anderem das Lesen der Mimik. 

r&z: Wie liest du ein Gesicht? An welchen Merkmalen orientierst du dich?

E. St.: Das kommt immer auf die Aufgabenstellung an. Kommt jemand zu mir mit einem gesundheitlichen Problem, dann würde ich anders lesen, als wenn jemand wissen möchte, warum er sich immer wieder in die falsche Frau verliebt. Das Gesicht bietet, wenn man alle 1 000 bis 2 000 Merkmale kombiniert, fast 20 000 Möglichkeiten es zu lesen. 

r&z: Es ist also nicht so, dass Du Dir direkt die Gesichtsform, Augenfarbe, Nase, Falten oder die Mundform ansiehst?

E. St.: Natürlich schaue ich mir das an, aber im Grunde ist bei jedem die Gewichtung unterschiedlich. Wenn jemand schon seit 20 Jahren Rückenschmerzen hat und niemand trotz aller Untersuchungen sagen kann, woran es liegt, dann würde ich mir die Gesichtsform nicht anschauen, die ist in diesem Zusammenhang unerheblich für mich. Ich würde zuerst schauen, ob er in seinem Gesicht Merkmale zeigt, die mit Rückenbeschwerden zusammenhängen. Zeigt er keine, könnte es sich um einen Phantomschmerz handeln. Wenn ich dagegen Zeichen sehe, wird’s schon spannender. Dann muss ich mich eigentlich fragen, warum niemand die Ursache entdeckt hat.

r&z: Das Gesichtslesen orientiert sich ja eigentlich an physischen Merkmalen. Aber Du erkennst damit auch die psychische, seelische und geistige Ebene?

E. St.: Das Gesichtslesen bildet eine wunderbare Brücke, weil das Gesicht über Nervenbahnen mit allen Organen verbunden ist. Im Gesicht verlaufen der Nervus auricularis magnus und der Trigeminus und mit dem Gehirn ist es über den Nervus opticus und der Nervus fasalis verbunden. 

Das Gesicht hat also neben einer physischen und organischen Verbindung, auch eine Verbindung zu Gedanken und Gefühlen. Das Gesicht drückt all das aus. Von daher kann man über das Gesicht in alle Regionen vordringen, wobei man vom Oberflächlichen in die Tiefe geht. 

Meine Schüler lernen einen bestimmten Ablauf: Zuerst geht es nur ums Erkennen. Es ist sehr interessant, wie wenig Menschen sich selbst erkennen oder einen anderen, den wir schon seit Jahren kennen. Auf einmal entdecken wir ein kleines Muttermal, das nie aufgefallen ist, ein Fältchen oder ein Äderchen. Der nächste Schritt ist das Benennen. Was bedeutet es, wenn an einer Stelle ein Äderchen sichtbar ist? Und der dritte Schritt ist das Verbinden: Dies und jenes hat diese Bedeutung. 

Das Gesicht bietet fast 20 000 Möglichkeiten es zu lesen.

Beispiel des Gesichtslesens

r&z: Hast Du ein Beispiel dafür?

E. St.: Nehmen wir an, jemand sitzt mit glasigen Augen vor mir. Das erkenne ich. Jetzt muss ich es benennen. Es könnte bedeuten, dass dieser Mensch Fieber hat. Glasige Augen können aber auch bedeuten, dass er gerade geweint, eine Allergie oder vielleicht gestern zu viel gefeiert hat. Wie du siehst, gibt es mehrere Gründe dafür. Die glasigen Augen habe ich also schon mal erkannt. Jetzt sehe ich noch weitere Merkmale wie beispielsweise eine knallrote, violette Nasenspitze, die auch noch tiefporig ist. Eine knallrote Nasenspitze könnte bedeuten, dass ihn etwas gestochen hat. Es könnte auch bedeuten, dass er sich hundertmal die Nase geputzt hat und dadurch gereizt ist. Eine knallrote Nasenspitze könnte aber auch bedeuten, dass er eine Magenschleimhautentzündung hat, denn die Nasenspitze ist über Nervenbahnen mit dem Magen verbunden. Deshalb greifen wir uns auch an die Nasenspitze, wenn der Magen stimuliert ist. Bei Aufgeregtheit oder Nervosität greift man sich ebenfalls an die Nasenspitze, weil ein nervlicher Reiz stattfindet, eine Stimulanz oder eine Unruhe. Die tiefrote Nasenspitze kann also bedeuten, dass die Schleimhaut des Magens attackiert wird, durch aggressive Säuren, wie zum Beispiel Zucker, aber auch durch aggressiven Alkohol. Deswegen finden wir bei schweren Alkoholikern auch diese knallrote, tiefporige Nase. 

Jetzt sehe ich also die glasigen Augen und eine tiefporige, knallrote Nase. Mittlerweile ist mir klar, dass es sich wahrscheinlich nicht um Tränen von gestern handelt oder um eine Allergie, sondern es verdichtet sich sozusagen ein Bild. Und wenn ich dann noch sehe, dass dieser Mensch in seiner Bewegung eingeschränkt ist, in Gestik oder in seiner Sprache, dann weiß ich, dass sein Problem der Alkohol ist

Jung und alt

Der Hauptgrund, warum wir in Gesichter schauen, liegt darin, Infos zu bekommen, die glaubwürdiger sind als Worte, die wir hören.

Aufgabe des Gesichtslesers ist Ratgeber zu sein

So läuft beispielsweise eine Verbindung. Ich habe jetzt ein sehr simples Beispiel genommen, um am Ende – und jetzt kommt das Wichtige, den vierten Schritt zu gehen, nämlich Rat zu geben. Die Aufgabe des Gesichtslesers ist, Rat zu geben und nicht das Gesicht zu lesen. Das Gesicht zu lesen heißt nur: Ich stelle etwas fest. Und was mache ich jetzt damit? Eine Erkenntnis ohne eine Folge aus der Erkenntnis, ist verschenkte Mühe, würde ich fast sagen. Mein Job ist es, diese Abfolge aus Merkmalen zu finden, die für ein Thema stehen und daraus Rat zu geben. So verifiziert sich immer mehr ein Bild. Deshalb ist es auch im Gesichtslesen wichtig, viele Informationen zu bekommen, damit man wirklich ein Bild von dem Menschen hat. Ich möchte noch hinzufügen, dass es völliger Unsinn ist, wenn Gesichtsleser sagen: „Du hast diese Nase und deshalb bist du so.“

r&z: Also geht es darum, Merkmale zu lesen und diese zu interpretieren?

E. St.: Genau. Aber die Merkmale sind halt statisch, es ist wie wenn man ein Foto liest. Man weiß jetzt aber nicht, wie sich dieser Mensch im Gesicht mit seinen 43 Muskeln bewegt. Dazu brauche ich die Mimik, die Stimme und auch Gesten, Alltagsgesten wie jemand eine Kaffeetasse hält oder im Fahrstuhl den Knopf drückt. Darüber könnte ich mir mehr Infos über diesen Menschen einholen, um ihm dann einen besseren Rat zu geben. 

Mögliche Themen 

r&z: Man kann also allerhand aus dem Gesicht lesen. Was sind denn typische Themen? 

E. St.: Ich gebe dir die Überschriften, die ich Europäern gebe, weil es für sie im Gegensatz zu den Chinesen nicht selbstverständlich ist, mit einem Anliegen oder einem klar definierten Thema, zum Gesichtsleser zu kommen. 

Eine Überschrift könnte der Bereich Persönlichkeit, Potenziale, Talente sein. „Wer bin ich wirklich und was kann ich damit anstellen?“ 

Ein zweiter Bereich könnte das Thema Beruf und Karriere sein. „Ich übe einen Beruf aus, der mich nicht erfüllt. Was sagt dir mein Gesicht zu diesem Thema?“ 

Ein dritter Bereich könnte dann die Lebensaufgabe und die Berufung sein. „Ich übe meinen Beruf aus, der okay ist, aber ich verspüre immer so ein Drängen in mir. Ich will etwas Besonderes tun oder etwas, was mir besser zu Gesicht steht.“ 

Ein vierter Punkt könnte das Thema Liebe und Partnerschaft sein. „Ich bin mit meiner Frau seit 22 Jahren glücklich verheiratet, aber seit einem Jahr hängt der Haussegen schief. Ich kann Ihnen nicht sagen warum. Was kann man in meinem Gesicht dazu lesen? Hier ist auch noch ein Foto meiner Frau.

Außerdem kann man ein Gesicht zu den Themen Gesundheit und Ernährung lesen.

Darüber hinaus gibt es aber auch eher mystischere Themen wie das Thema Schicksal. Wobei Gesichtslesen jetzt nicht so geeignet ist, um in die Glaskugel zu schauen, sondern das Gesicht würde man eher im Pfad des Lebens lesen. Im Erkennen der Persönlichkeit zieht man Rückschlüsse, wie der Mensch weiter durch sein Leben schreitet, wenn er so handelt, wie er gerade handelt. 

Ferner gibt es ganz andere Anwendungsgebiete. Zum Beispiel wende ich Gesichtslesen beim Profiling für ein Unternehmen an, die einen Mitarbeiter für eine bestimmte Position suchen. Wie müsste der Richtige aussehen? Manchmal werde ich zu Vorstellungsgesprächen oder in der Vorbereitung dessen hinzugezogen. 

Man kann es gut nutzen zu Teambuilding-Maßnahmen, wenn sich beispielsweise die Mitarbeiter einer Abteilung untereinander nicht verstehen. Dann kann diese Methode dazu beitragen, Verständnis füreinander zu entwickeln und zu schauen, wer welche Stärken hat und wie es besser funktionieren könnte. 

Ich nutze es auch, um Lügen aufzudecken, wie beispielsweise in Verhören, um zu sehen, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht. 

Oft werde ich zu Vertragsverhandlungen eingeladen, damit ich mir die Gegenseite anschaue. Ist das alles stimmig, was sie von sich gibt? Manchmal bekomme ich den Auftrag, eine Person in der Runde im Auge zu behalten, weil sie beispielsweise dafür bekannt ist, immer ein wenig über die Stränge zu schlagen. Da soll ich schauen, ob es von der Person strategisch ist oder ob sie das nur vortäuscht. 

In den USA habe ich Kunden, die es für was ganz Tolles nutzen, nämlich für die Selbstentwicklung und Selbstverwirklichung und dafür, sich selbst besser zu verstehen – im Privatleben und in der Firma. Ich begleite sie in ihrer Arbeitswelt und in ihrem Privatleben und versuche so objektiv wie möglich zu beurteilen, ob dieser Mensch gemäß seiner Persönlichkeit lebt oder wo er sich selbst im Weg stehen könnte. 

Charakter und Persönlichkeit lesen

r&z: Hast du einen Tipp, an welchen Merkmalen man einen Menschen erkennt, wie der tickt.

E. St.: Zunächst einmal muss man unterscheiden, was an diesem Menschen fundamental ist, also seine Persönlichkeit und welchen Charakter dieser Mensch entwickelt hat. Charakter und Persönlichkeit gehen nicht immer Hand in Hand, denn sonst wären wir alle authentisch und das sind wir nicht. 

Wenn ich den Charakter lesen will, lese ich eher die Mimik eines Menschen, die sich situativ verändert. Die Persönlichkeitsstruktur würde ich dagegen eher durch feststehende Merkmale lesen. 

Wenn ich wissen will, wie jemand tickt, dann bedeutet das nicht, wie jemand grundsätzlich in seiner Persönlichkeit ist, sondern wie sich jemand verhält, welchen Habitus er hat. Da würde ich eher auf die Mimik achten. Sie kann im Detail ein wenig vielgestaltiger sein. 

Der Dreiecksblick

r&z: Ich glaube, in deinem Buch nennst du die Kurzform des Gesichtslesens den Dreiecksblick. Was kann man sich darunter vorstellen?

E. St.: Wenn man so möchte ist es der Blick, der uns verbindet und überall auf der Welt angewandt wird. Der Dreiecksblick ist die Verbindung von den Augen mit dem Mund. Da die Augen eine direkte Verbindung zum Gehirn haben, drücken sie die Gefühls- und Gedankenwelt eines Menschen aus. Die Augen sind mit dem Mund die wichtigsten Merkmale. Wie bei einem Smiley braucht es nur Augen und Mund, um alles ausdrücken zu können. Es braucht keine Nase, keine Ohren und keine Haare.

So erfolgt auch das schnelle Lesen immer über Auge und Mund. Man könnte zum Beispiel erst einmal schauen, ob zwischen Augen und Mund eine Harmonie herrscht und sie harmonisch miteinander agieren. Bewegen sich beispielsweise die Augen wie wild, dann bedeutet das, dass jemand ganz viele Informationen aufnimmt und eine gewisse Rastlosigkeit und Unruhe hat. Mit einem starren Mund, der sich kaum öffnet, heißt das, dass das, was er aufnimmt, nicht herauslässt, nicht verarbeitet und es für sich behält. Es handelt sich dann gegebenenfalls um einen überstimulierten, unruhigen Menschen, der sich immer wieder mit Informationen reizüberflutet, aber die Verarbeitung nicht tatsächlich von sich gibt. Das hat natürlich entsprechende Auswirkungen auf die Persönlichkeit. 

Bei der umgekehrten Variante: Wenn die Augen starr sind mit einem sich schnell bewegenden Mund, dann ist es jemand, der sich sehr schnell Meinungen bildet, der sich eher präsentiert oder eine Meinung repräsentiert. Es ist niemand, der vieles ansammeln würde, um es wiederzugeben. 

Ein guter erster Einstieg ist also darauf zu achten, was nicht in Harmonie ist, auf die kleinen Widersprüche zu schauen, die einen Menschen ausmachen. 

Alte Frau

Die Augen sind mit dem Mund die wichtigsten Merkmale.

Die Lebensaufgabe lesen

r&z: Wie zeigt sich die Lebensaufgabe im Gesicht? Wie liest du sie?

E. St.: Die Lebensaufgabe ist für Gesichtsleser nichts Mystisches, sondern wir gehen davon aus, dass jeder mit einer Lebensaufgabe zur Welt kommt. Die Lebensaufgabe eines Menschen, so glaubt der Gesichtsleser, begründet sich in seiner Persönlichkeitsstruktur, die er mit auf die Welt bekommt, ohne dass die Eltern etwas dazu beigetragen haben, weil jedes Baby schon eine Persönlichkeit hat. 

Die Werkzeuge, um die Lebensaufgabe zu leben, sind die Talente, die vielleicht genetisch verankert sind, aber nicht immer vererbt sein müssen. Oft sind es Talente, die sonst niemand in der Familie hat. 

Wenn ich beides, meine Persönlichkeit und meine Talente, so authentisch wie möglich ausleben kann, habe ich eine sehr hohe Chance, glücklich zu leben. 

Bin ich eingeschränkt durch Sozialisation, habe ich also einen Charakter entwickelt, der nicht identisch ist mit meiner Persönlichkeit, dann kann ich meine Talente nicht nutzen. Werde ich zum Beispiel kein Arzt, sondern Steuerfachgehilfin, obwohl ich gerne heilen würde, dann bin ich sogar ziemlich sicher, dass man nicht glücklich ist, weil man spürt, dass etwas nicht herausdarf, was in einem ist. Das Ausleben der Persönlichkeit zusammen mit der Talentstruktur sorgt dafür, dass man selbstbestimmt und selbstverwirklicht lebt und dadurch seine Lebensaufgabe. 

r&z: Woran kann man die Lebensaufgabe erkennen? 

E. St.: Es gibt Merkmale im Gesicht, die mit Talenten in Verbindung gebracht werden. Die Chinesen haben dafür eine Liste mit 30 verschiedenen Begriffen. Diese sind zum Teil selbsterklärend, wie beispielsweise das Talent der Kommunikation. Dazu zählt singen, schreiben, vortragen, übersetzen, also alles, was man über das Kommunizieren macht. 

Daneben gibt es Begriffe, die nicht selbsterklärend sind, wie beispielsweise das Talent der Welt. Das heißt eben, dass jemand für seine Berufung in der Welt unterwegs ist, in Bewegung bleibt. Steckt man ihn ins Büro, dann geht das ganz übel in die Hose. 

Es gibt auch das Talent der Natur. Da kann man sich zusammenreimen, das demjenigen auf jeden Fall die Natur guttut, wenn er seine Lebensaufgabe auslebt. Wir würden vielleicht sagen, dass er einen grünen Daumen hat. Aber man muss damit nicht Gärtner werden, sondern Gebirgsführer, Park Ranger oder Landschaftsarchitekt wären auch Möglichkeiten. Damit kann man aber auch Personal Trainer sein, der draußen in der Natur trainiert und nicht in der Halle. Das sind alles Möglichkeiten, wie sich ein Talent herauskristallisieren kann. 

Kombination der Talente

r&z: Oft haben Menschen nicht nur ein Talent. Sieht man sich die Talente in der Kombination an?

Genau. Nehmen wir mal an, jemand hat das Talent der Bühne und das Talent der Kommunikation und das der Kreativität. Ihm würde ich raten, auf die Bühne zu gehen und kreative Kommunikation zu machen. Er wäre ein guter Schauspieler, Sänger oder Entertainer. 

Hat er das Talent der Bühne und das Talent des Ratgebers plus das Talent der Heilung, dann würde ich ihm raten, auf der Bühne Menschen rund um das Thema Gesundheit oder Heilung zu beraten. Es gibt auch das Talent der Hände und das Talent des Körpers. Hat das jemand in der Kombination mit dem Talent Heilung, würde ich ihm sagen, dass beispielsweise Physiotherapeut eine Übersetzung seiner Lebensaufgabe wäre. 

Aber Berufe sind immer nur der Versuch, unsere Lebensaufgabe zu übersetzen. Ich würde das jetzt auch nicht so werten, dass die Lebensaufgabe unbedingt zum Beruf gemacht werden muss. Man kann es auch als Hobby ausleben.

Die Zuordnung des Archetyps ist der Versuch, dem Kunden Orientierung und einen symbolischen Halt zu geben.

Archetypen

r&z: Du ordnest den Gesichtern bestimmte Archetypen zu. Was drücken sie aus? 

E. St.: Im chinesischen Gerichtslesen gibt es Archetypen, die sich an deren Mythologie orientieren. Nur kennen wir diese nicht. Also habe ich zusammen mit meinem Lehrer versucht, diese mythischen chinesischen Figuren in eine englische Übersetzung zu bringen. Dadurch habe ich in mühevoller Arbeit Begriffe gefunden, die wir teilweise schon woanders gehört haben, wie beispielsweise Guardian, Angel of Life (Schutzengel des Lebens) oder King Priest (Königs-Priester) oder auch banale Sachen wie Problem-Solver (Problemlöser). Für die Archetypen gibt es etwa 60 Begriffe, mit denen ich hantiere.

Die Zuordnung eines Archetyps ist der Versuch des Gesichtslesers, aus der Gemengelage von Talenten und Persönlichkeit einen Begriff zu platzieren, um dem Kunden Orientierung und einen symbolischen Halt zu geben. 

Es ist aber wichtig, sich nicht zum Sklaven des Begriffs zu machen. Er soll helfen, aber nichts vorgeben. Wenn ich jetzt zum Beispiel, wie bei mir, den Archetyp Botschafter habe, dann heißt das aber nicht, dass ich jetzt zur UNO muss oder ich Botschafter in der Schweiz werde oder was auch immer. Ich überlege eher, ob das, was ich mache, Botschaften geben ist. Wenn das der Fall ist, dann ist es stimmig. 

Es befreit mich aber auch davon, dass ich immer nur das tun muss, was ich jetzt mache. Gesichtslesen ist nicht meine persönliche Lebensaufgabe. Ich nutze das Gesichtslesen, um meine Lebensaufgabe zu finden. Ich könnte theoretisch auch eine andere Methodik haben, um Botschaften zu geben. Vielleicht mache ich das auch noch. Die wenigsten wissen, dass ich Gedichte zu Gesichtern schreibe. Es gibt eine Website „Portraits of a Soul“, auf der ich meine Botschaft in Form eines Gedichtes zu einem Gesicht weitergebe. 

Ratschläge und Lernsätze

r&z: Daneben gibst Du dem Kunden Ratschläge, die Du Lernsätze nennst. Welche Bedeutung haben sie?

E. St.: Ja, ich habe bei meinem chinesischen Lehrer gelernt, dass Lernsätze für manche Menschen hilfreicher sind, als ein Archetyp. Die Lernsätze können häufig Dinge klären oder klarer machen, weil sie entweder sehr bildhaft sind oder durch das Wortspiel Gehör verschaffen und so länger hängen bleiben. 

Ein Lernsatz in Form eines Wortspiels lautet zum Beispiel: „Wer sich aufopfert, ist kein Held, sondern ein Opfer.“ Diesen versteht jeder: „Mist. Ich sollte gucken, dass ich mich nicht völlig für andere aufreibe. Das kommt bei den anderen nicht heldenhaft an, sondern sie sehen mich eher als Opfer.“ Das ist eine Möglichkeit, die man mittels Lernsatz wecken kann. Im Deutschen mache ich es eher philosophisch oder bildhaft. 

r&z: Das Gesichtslesen bietet so viele Möglichkeiten, was ich niemals gedacht hätte. Was möchtest Du durch das Gesichtslesen vermitteln?

E. St.: Ich habe halt den Botschafter in mir. Mir ist die Botschaft vom Gesicht wichtig, dass den Menschen klar wird, dass a) jeder Gesichtsleser ist und b) dass das Gesicht nicht einfach nur da ist, um gut auszusehen, sondern es ist eine Informationsquelle, die jeder nutzen kann.

r&z: Ich danke Dir für das sehr interessante Gespräch!

Autorin

Hilda Müller

Ehemalige Redakteurin für Print, Online und Soziale Medien bei raum&zeit, hat in Siegen und Köln Chemie studiert, war selbstständig im Musikmanagement und arbeitete als freie Journalistin für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk bevor sie zum Ehlers Verlag kam.

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