Kennt Wasser eine vierte Phase?

Wissenschaftler präsentieren Hinweise auf den Zustand „Flüssigkristall“

Hat Wasser neben fest, flüssig und gasförmig einen vierten Aggregatzustand? Diese Frage wird unter Wasserforschern seit einigen Jahren heiß diskutiert. Prof. Dr. Gerald Pollack stellte in seinem faszinierenden Vortrag auf dem jüngsten Wassersymposium der DGEIM ein Modell vor, nach dem die vierte Phase des Wassers ein Flüssigkristall ist. Ein solcher ist an hydrophilen Grenzflächen nachweisbar und dürfte in der gesamten Natur eine
wichtige Rolle spielen.

Von Dipl.-Phys. Detlef Scholz, Wolfratshausen

Wasser hat eine Reihe von sehr merkwürdigen Eigenschaften, die mit dem konventionellen molekularen Modell nicht oder nur unzureichend erklärt werden können. Ein paar Beispiele:

Warum gefriert heißes Wasser schnel-
ler als kaltes?

Wie kann es sein, dass hundert
Meter hohe Redwood-Bäume Wasser bis in die höchsten Blätter saugen können? Die Wassersäule müsste unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen.

Wenn Wassertropfen aus einer
Pipette auf Wasser prallen, lösen sie sich nicht sofort auf, sondern bilden Kügelchen, die eine Zeitlang über die Oberfläche tanzen. (Abb. 1)

Warum sinkt der Fuß in trockenem Sand ein, in feuchtem wie am Meeresrand jedoch kaum? Wie schafft es das Wasser, den Sand zusammenzubinden?

Manche Gele bestehen zu 99,95 Prozent aus Wasser. Warum zerfließen sie nicht, sondern wahren ihre Form?

Bestimmte Eidechsenarten laufen über eine Wasseroberfläche, ohne zu versinken. Die Oberflächenspannung des Wassers ist aber viel zu gering, um das Gewicht zu tragen. Wie ist das möglich?

Legt man an zwei eng benachbarten mit Wasser gefüllten Gläsern eine hohe Spannung an, so bildet sich eine schlauchartige Verbindung aus Wasser zwischen den Gläsern aus, die mehrere Zentimeter überbrücken kann. Die Oberflächenspannung allein wäre für deren Stabilität nicht ausreichend. (Abb. 2)

Wasser ist die einzige chemische Verbindung auf Erden, die in der Natur in den drei Phasen gasförmig, flüssig und fest vorkommt. Über diese drei Phasen hinaus akzeptiert die Wissenschaft keine weitere. Aber sie scheint sich zu irren. Wasser hat offenbar eine vierte, bislang unbekannte Phase: als Flüssigkristall, einer, ähnlich wie Eis, hochgradig strukturierten Anordnung der Wassermoleküle, die sich an hydrophilen (wasseranziehenden) Grenzflächen ausbilden kann, insbesondere auch an biologischen. Man nennt es auch Grenzflächenwasser (engl. Interface Water). Zahlreiche Experimente an vielen Forschungseinrichtungen bestärken dieses Modell.

Abbildung 1
Abbildung 2
Abbildung 3
Abbildung 3
Prof. Gerald H. Pollack, Biotechnologe und weltweit bekannter Wasserforscher.

Mysteriöse Grenzschicht

Der Bio-Physiker Prof. Gerald Pollack stellte auf seinem Vortrag „Die vierte Phase des Wassers“ während des DGEIM-Symposiums am 12./13. Oktober 2013 in Lindau einige dieser frappierenden Versuche vor. Gießt man beispielsweise Wasser in ein Gefäß aus Nafion, einer stark hydrophilen Variante des Teflons, so lässt sich beobachten, dass an der Grenzfläche Nafion/Wasser eine Schicht mit besonderen Eigenschaften entsteht (Abb. 3). Befinden sich in dem Wasser mineralische Mikrokügelchen oder Farbstoffe, so werden diese von dieser Grenzschicht ins Innere des Gefäßes verdrängt.

Als Beweis präsentierte Pollack Fotos eines pH-empfindlichen Farbstoffs (Lackmus) vor einer Nafion-
schicht in Wasser (Abb. 4). Die Farbverteilung zeigte deutlich eine
schmale Schicht von etwa einem Millimeter Dicke, die ganz offenbar an Protonen verarmt war, also einen hohen pH-Wert aufwies. Direkt daran schloss sich eine Zone mit Protonenüberschuss an (kleiner pH-Wert, rote Färbung), die mit wachsendem Abstand vom Nafion immer schwächer (gelber) wurde. Pollack bezeichnet die erste Schicht als „Exclusion Zone“ (abgekürzt EZ, deutsch etwa „Sperrzone“), da sie Partikel, Farbstoffe und Kolloide ins Wasserinnere („Bulk-Wasser“) verdrängt. Ganz offensichtlich wirkt hier eine Kraft. Doch welcher Art ist sie und woher stammt sie?

Nähere Analysen zeigen, dass das EZ-Wasser anders strukturiert ist als das Bulk-Wasser, es handelt sich offenbar um eine Art Flüssigkristall, einem Zustand zwischen fest und flüssig. Laut Pollack weist es folgende Merkmale auf (in Klammern die Messmethoden):

EZ-Moleküle sind dichter gepackt (Kernspinresonanzspektroskopie); Hinweis auf Flüssigkristall

EZ Moleküle sind stabiler (Infrarot-emissionsmessung); Hinweis auf Flüssigkristall

EZ ist negativ geladen (Spannungsmessung)

EZ absorbiert verstärkt Photonen mit 270 Nanometern (Photometrie)

EZ hat höhere Viskosität als Wasser (Messung der Sinkgeschwindigkeit einer Kugel)

EZ Moleküle sind orientiert wie ein Kristall (Polarisationsmikroskopie); Hinweis auf Flüssigkristall

EZ Moleküle haben eine andere Struktur als Bulk-Wassermoleküle (Infrarotabsorption)

EZ Wasser hat einen um zehn Prozent höheren Brechungsindex als Bulk-Wasser (Brechungsindexdetektor); Hinweis auf höhere Dichte in der EZ.

Abbildung 5
Abbildung 6

Wasserbatterie

Das Merkmal der elektrischen Negativität der EZ erläuterte Pollack detaillierter. Um die Spannung zu bestimmen, wurde die Potentialkurve mit zwei Elektroden aufgenommen (Abb. 5). Eine befand sich in der Nafion-Grenzfläche, die andere im Bulk-Wasser. Je näher Letztere an die Grenzfläche heranrückte, desto negativer das Potenzial. Das elektrische Potential war nicht etwa temporär, sondern blieb zeitlich konstant. Man kann sogar einen Strom zwischen den Zonen abgreifen. Der Strom fällt innerhalb von 60 Sekunden von 5,0 Mikroampere auf 1,5 μA und bleibt dann konstant (Abb. 6). Dies ist ein eindeutiger Beweis für eine Ladungstrennung. Wir haben also eine geladene Batterie in Wasser.

Das Resultat lässt sich mit den bekannten Gesetzen nicht erklären. Wo kommen die Ladung und die Energie für die Ladungstrennung her? Die einzige vernünftige Erklärung für die Ladungsherkunft, so Pollack, kann vorläufig nur lauten, dass sich die Wassermoleküle der EZ in negative und positive Teile gespalten haben. Dies wäre aber nur möglich, wenn das EZ-Wasser als eine Art Flüssigkristall vorliegt, da sich andernfalls die Ladungstrennung gleich wieder (durch Rekombination) aufheben würde.

Dass es sich bei den EZ-Lagen nicht um eine bloße Schichtung von H2O-Dipolen handelt, kann man ausschließen, denn Dipole haben keine freie negative Ladung. Doch welche Struktur könnte hier vorliegen? Einen ersten Anhaltspunkt liefert die Absorption der EZ von Photonen mit 270 Nanometern Wellenlänge, denn das verweist auf eine Ring-Struktur der Moleküle. Diese Annahme führt zur bekannten hexagonalen Struktur von gefrorenem Wasser, also Eis. Eismoleküle sind bekanntlich in hexagonalen Ringen angeordnet, das Muster erinnert an eine Wabe. Die Bindungsenergie für diese Wabenstruktur liefern die positiven Protonen über die Wasserstoffbrücken. Doch die EZ ist, wie gesagt, negativ geladen. Woher stammt diese Ladung? Eine Möglichkeit wäre, die positiven Protonen wegzunehmen, denn dann resultiert eine negative Ladung. Doch damit wäre auch gleichzeitig der „Kleber“ für die hexagonalen Flüssigkristalle weg, die Struktur mithin nicht mehr stabil, da sich die verbleibenden negativen Ladungen der Sauerstoffatome abstoßen würden. 

Abbildung 7
Abbildung 8

Die Wasserhelix

Die Lösung dieses Problems ist laut Pollack, dass man die plan aufeinander liegenden Schichten hexagonaler Strukturen in 60-Grad-Schritten entlang der Bindungsarme gegeneinander verschiebt (Abb. 7). Zählt man anschließend die Bestandteile der verschobenen Struktur je Einheitszelle, so kommt nicht H2O dabei heraus, sondern H3O2. Drei Protonen (positive Ladung) pro Ring sind dann im Bulkwasser, wodurch die EZ gegenüber diesem negativ wird. Man erhält also eine helikale Struktur (Abb. 8), die ähnlich aufgebaut ist wie einige wichtige Bio-Moleküle, zum Beispiel DNA, RNA, Proteine oder Fasermoleküle, die allesamt eine Helix bilden. In der Nachbarschaft solcher Moleküle befindet sich stets strukturiertes Wasser. Die helikale Struktur des Flüssigkris-talls spiegelt das exakt wider. 

Fassen wir kurz die Vorteile des EZ-Modells zusammen:

man kann von einer bekannten Phase des Wassers ausgehen (Eis)

die negative Ladung der EZ wird erklärbar

die ringförmige Struktur passt zu der Absorption von 270 nm Photonen

die helikale Struktur passt zu den Bio-Molekülen

Das so „modellierte“ EZ-Wasser wirft Licht auf zahlreiche Wasser-Anomalien, zum Beispiel warum ein Gel, das zu 99 Prozent aus Wasser besteht, stabil ist. Hier türmen sich die aneinander haftenden Flüssigkristalle des Gels an den Oberflächen auf und verleihen dem Gel Stabilität, das Wasser kann nicht mehr heraustropfen. Die Konsistenz von Gel erklärt sich somit einfach durch die Konsistenz des Flüssigkristalls. Auch die Wasserbrücke, die sich zwischen zwei unter hoher Spannung stehenden benachbarten Wassersäulen bildet (s.o.), lässt sich erklären. Offenbar ist das Kris-tallwasser steif genug, um die Stabilität der Brücke zu gewähr-
leisten.

Wieso bleiben aber die Ladungen getrennt? Was hält die Protonen davon ab, in die negative Zone zurück zu strömen und zu rekombinieren? Dies hängt damit zusammen, dass die Protonen im Bulkwasser sich an neutrale Wassermoleküle heften (Hydronium), die zu groß sind, um durch das Flüssigkristallgitter zu schlüpfen. Deswegen bleibt die Ladung der Wasserbatterie erhalten. 

Abbildung 9
Abbildung 10
Abbildung 11

Freie Energie 

Es bleibt nun noch eine entscheidende Frage: Woher stammt die Energie für die Ladungstrennung der Wasserbatterie? Laut Prof. Pollack ist es Strahlungsenergie aus der Umgebung, wie ein Experiment nahe legt. Wird die EZ mit Licht bestrahlt, dehnt sie sich aus. Entfernt sich die Lichtquelle, verdünnt sie sich wieder. Dabei zeigte sich, dass Infrarotstrahlung (Wärmestrahlung) am wirksamsten ist. Dieser Fakt dürfte der Schulphysik besonders Bauchschmerzen bereiten, verstößt er doch gegen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: Diffuse Energie schafft Ordnung! 

Man kann also von Freier Energie sprechen, die sogar, wenn auch nur im kleinen Rahmen, mechanische und elektrische Arbeit verrichten kann:

Mechanische Arbeit: Ein Nafionröhrchen befindet sich in einem Gefäß mit Wasser. Nach einigen Minuten, während derer die Protonenfreisetzung durch Bildung der EZ geschieht, setzt eine Strömung durch das Röhrchen ein, die durch Mikrokügelchen oder Farbstoff sichtbar gemacht werden kann (Abb. 9). Die Strömungsrichtung ist dabei unvorhersagbar. Die Strömung dauert in der Regel eine Stunde an, in Extremfällen bis zu eineinhalb Tage. Jede Strömung muss aber Reibung überwinden. Woher kommt die Energie? Die Forscher um Pollack schließen thermische Effekte mit Sicherheit aus. Bestrahlt man die Vorrichtung mit Licht und Infrarotstrahlung, erhöht sich die Strömungsgeschwindigkeit um das Fünffache.

Elektrische Arbeit: Verbindet man die EZ und das Bulkwasser mit Elektroden, fließt ein unaufhörlicher Strom (Abb. 10). Dieser Effekt wurde sogar schon in Form einer Wasseruhr genutzt. Pollack hält Wasser als Energiequelle für Kleinelektrogeräte wie Handys für realisierbar. Aus diesen Versuchen ist nur ein Schluss möglich: Wasser übersetzt Lichtenergie in Arbeit, in einer Formel ausgedrückt: E = H2O.

Diese Erkenntnis könnte sehr wichtig sein für alle Naturwissenschaften, besonders auch für Biologie und Medizin, in denen Wasser und Licht eine Rolle spielen. Denn der EZ-Effekt ist nicht auf makroskopische Flächen beschränkt, sondern auch bei Molekülen und Kolloiden im Wasser zu beobachten. In jedem Fall bildet sich eine EZ aus Flüssigkristallen, um die herum sich positive Ladungen gruppieren. Diese unscheinbare Annahme hat weit reichende Konsequenzen, wie nun gezeigt werden soll.

„Like likes Like“

Von dem US-amerikanischen Physiker Richard Feynman (Nobelpreis 1965), den viele als den bedeutendsten Physiker der Nachkriegszeit erachten, stammt der Ausspruch: „Like likes Like“, etwa mit „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ zu verdeutschen. Was passiert, wenn man zwei Partikel derselben Ladung in ein Gefäß mit Wasser gibt? Sie sollten sich, der Schulphysik gemäß, abstoßen und maximal voneinander entfernen. Tatsächlich beobachtet man aber, dass sie sich bis auf einen gewissen Mindestabstand einander annähern, also „Like likes Like“ (Abb. 11). Pollack und weitere Forscher haben entsprechende Versuche durchgeführt.

Dieses verblüffende Phänomen lässt sich durch die anwesenden positiven Ladungen erklären, die sich zwischen den negativen, wo das Feld am stärk-sten ist, konzentrieren und zu deren Anziehung summieren. Dabei können sich auch übergeordnete Strukturen mit entsprechend skalierten Hohlräumen bilden (Abb. 12). Pollack führte aus, dass es sich um ein Prinzip der Selbstorganisation handelt, das zum Beispiel auch für die Wolkenbildung verantwortlich sein könne. Die Tröpfchen in einer Wolke sind bekanntlich alle negativ geladen (was wiederum eine Folge der EZ ist) und müssten sich abstoßen. Folglich könnten sich gar keine Wolken formen. Aber da die Atmosphäre voller positiver Ladungen ist, gilt wieder: Like likes Like. Die positiven Ladungen ziehen die negativen zusammen und drängen weitere negative Tröpfchen ins Wolkeninnere. 

Fazit

Das Modell der vierten Phase des Wassers wirft Licht auf die zahlreichen Anomalien und Mysterien des Wassers. Pollack erklärt damit in seinem Buch unter anderem den Kapillareffekt, die tanzenden Tröpfchen auf einer Wasseroberfläche, warum Salamander über Wasser laufen können, den Wassertransport in Pflanzen, den Bluttransport in sehr kleinen Gefäßen und viele Merkwürdigkeiten mehr. Trotzdem wird das Modell des Flüssigkristalls derzeit noch nicht allgemein akzeptiert. 

Autor

Detlef Scholz
Dipl.-Phys.

studierte Physik in Münster. Danach siedelte er nach München über und arbeitete dort als Ingenieur. Seit Mitte der neunziger Jahre ist er als Fachjournalist tätig.