Ganz nah am Original

Lebendige Klangwiedergabe mit Kymatik

Chladnische Klangfiguren sind ein Beispiel dafür, wie Schwingungen Strukturen erzeugen. Sogenannte kymatische Organe kehren dieses Prinzip um: Sie integrieren bei der technischen Klangwiedergabe
erstmals den Klangsog. Die Firma Lautsänger bietet Kopfhörer und Lautsprechersysteme an, die mit solchen kymatischen Organen ausgerüstet sind. Geschäftsführer Harald Hobelsberger im Interview mit raum&zeit über eine neue Dimension der Klangwiedergabe. 

Von Dipl.-Phys. Detlef Scholz, Wolfratshausen

Detlef Scholz: Zahlreiche Musik-Sachverständige, darunter Profi-Musiker und Hifi-Experten, äußerten sich begeistert über dieses außergewöhnlich lebendige Klangerlebnis mit dem Lautsänger. Das muss an diesen kymatischen Organen liegen. Wie sehen die eigentlich aus? Sind das dreidimensionale Strukturen mit Hohlräumen oder sind sie eher zweidimensional aufgebaut?

Harald Hobelsberger: Beim Lautsänger-Kopfhörer ist der Platz natürlich sehr begrenzt, um diese kymatischen Organe überhaupt noch unterzubringen und zu integrieren. Primär handelt es sich um zweidimensionale Gebilde, die aus verschiedenen Klang-Hölzern gefertigt werden. In diesen finden sich die chladnischen Klangfiguren wieder, eine gewisse Auswahl. Aus der kymatischen Forschung wird ersichtlich, dass die Prinzipien Klangsog und Schalldruck mit diesen chladnischen Figuren korrespondieren. Bei den Lautsprechersystemen „Scala“ und „Phoenix“ haben wir natürlich mehr Platz und hier sind die kymatischen Organe sowohl flächig als auch dreidimensional.

D. S.: Welche Materialien kommen zum Einsatz?

H. H.: Beim Kopfhörer werden Klanghölzer verwendet. Bei der „Scala“ hingegen, dieser sehr großen Klangskulptur, bestehen die kymatischen Elemente aus einer Verbindung verschiedenster Materialien: sowohl Klanghölzer als auch diverse Steinarten von Marmor bis Granit. Es geht auch um das Zusammenspiel der verschiedenen Materialien. Ein Kopfhörer ist eine ganz andere akustische Ausgangssituation als eine HiFi-Box. Und dementsprechend kommen dann auch andere Materialien mit zum Einsatz.

Die sogenannten chladnischen Klangfiguren entstehen, wenn eine mit feinem Pulver bestreute Platte, vorzüglich aus Metall oder Glas, in Schwingung versetzt wird, etwa, indem man mit einem Geigenbogen am Rand entlangstreicht. Die entstehenden Schwingungsknoten und -Bäuche formen das Pulver zu einem mandalaartigen Muster – die nach ihrem Entdecker benannten chladnischen Klangfiguren. Die Klangfiguren bilden den Ausgangspunkt für die sogenannte Kymatik (von griech. cyma = die Welle), die als Quartett aus Wissenschaft (Schwingungslehre), Technik, Kunsthandwerk und Materialerkundung die Zusammenhänge zwischen Gestalt, Rhythmik und Bewegung erforscht. Hans Jenny (s. Kasten) nennt es „das triadische Urphänomen“. Dort, wo die Platte vibriert, bilden sich Schwingungsbäuche (kein Pulver), dort, wo sie nicht vibriert, finden sich die Schwingungsknoten (Pulver). Dies ist jedoch  ein dynamischer Vorgang, denn es wandern ständig Partikel zwischen den Formationen hin und her. Mathematisch betrachtet sind die Klangfiguren die Visualisierungen von Eigenfunktionen der schwingenden Platte.

Das saugende Prinzip des Klanges

D. S.: Können Sie den Begriff „Klang-Sog“ erläutern?

H. H.: In den Kymatik-Experimenten können zwei verschiedene Kräfte-Prinzipien beobachtet werden: das zentrifugale Kräfteprinzip und ein zweites, das bislang kaum beachtet wurde, das zentripetale Kräfteprinzip. Das zentrifugale Prinzip ist der bekannte Schalldruck, den wir vom Lautsprecher sehr gut kennen. Er entsteht durch Schwingungen der Lautsprechermembran und breitet sich im Raum aus, also von innen nach außen, daher „zentrifugal“. Doch das zweite Prinzip – das zentripetale, man kann hier von Klang-
sog sprechen – erzeugt erst die von Hörern empfundene außergewöhnliche Lebendigkeit der Lautsänger-Kopfhörer. Meines Wissens der bislang einzige Kopfhörer, der dieses wichtige Kräfteprinzip des Saugenden integriert. Wir haben in der deutschen Sprache einen großen Vorteil: Während zum Beispiel im Englischen stets von Sound die Rede ist, können wir im Deutschen Klang, Ton und eben auch Schall unterscheiden. Beim Sprechen, Singen und Musizieren tritt neben dem Schalldruck zusätzlich das zentripetale, saugende Klang-Prinzip auf. Die erstmalige Einbeziehung beider Kräfte bei der technischen Wiedergabe zeichnet die Lautsänger-Produkte aus, sowohl die Kopfhörer als auch die verschiedenen Varianten von Lautsprechersystemen.

D. S.: Spielt eigentlich beim Lautsänger auch die Knochenleitung ein Rolle?

H. H.: Da kann sicherlich noch viel geforscht werden. Aber ich denke, durch den Klang wird der ganze Mensch angesprochen.

D. S.: Könnte man diese kymatischen Organe auch mit einem 3D-Drucker herstellen?

H. H.: Grundsätzlich könnte man mit jeder Art von Fertigungstechnik diese Organe erzeugen. Die Frage ist, ob sich dann wirklich auch der Klang in seiner Fülle so mit anbindet. Unsere Erfahrung ist die, dass es nicht wirklich funktioniert. Der wesentliche Teil der Herstellung stammt von unseren Handwerksmeistern, die die traditionelle Handwerkskunst beherrschen. Man kann auch wichtige Teile einer Geige, einer Gitarre oder eines Flügels rein maschinell herstellen. Aber ich erwarte nicht die Klangfülle und die Klangqualität im Vergleich zu einem Meisterinstrument, wo der Meister seine Hand angelegt hat bei der Herstellung.

D. S.: Sie planen ja, auch ein kostengünstiges Headset für Büroarbeiter anzubieten. 

H. H.: Wir haben jetzt tatsächlich ein zweites einfacheres Fertigungsverfahren entwickelt. Herausgekommen ist ein Lautsänger, der durch eine Kombination aus Handwerkskunst und Maschinentechnik hergestellt wird. Es ist ein kostengünstiges Einstiegsmodell und eignet sich auch als Headset für den Einsatz im Homeoffice, fürs Musikhören oder auch, um mal am Laptop einen Film anzuschauen. Aber es war eine Herausforderung, denn letztlich geht es ja darum, den Klang mit anzubinden und da wollten wir keine großen Qualitätseinbußen in Kauf nehmen.

Ernst Chladni –

Urvater der physikalischen Akustik

Ernst Florens Friedrich Chladni, deutscher Physiker, Akustiker und Jurist (1756–1827). Er orientierte sich bei seinen experimentellen Forschungen an den Erkenntnissen der beiden Schweizer Mathematiker Leonard Euler und Daniel Bernoulli. 1797 ermittelte Chladni die Schallgeschwindigkeit in verschiedenen Festkörpern und Gasen. Chladni gilt als einer der Urväter der physikalischen Akustik und Schwingungslehre. Bis heute werden seine Erkenntnisse beim Instrumentenbau und der Architektur von Konzertsälen berücksichtigt. Der französische Feldherr Napoleon Bonaparte soll erstaunt ausgerufen haben: „Der Chladni lässt uns die Töne sehen.“

D. S.: Könnte es sein, dass die Lautsänger-Produkte, weil sie ja eben auch so eng mit dem Instrumentenbau verwandt sind, unterschiedlich klingen? Wir wissen ja, dass Instrumente auch durchaus ihre „Launen“ haben können, selbst ein Orchester hat klangliche Schwankungen. Das könnte mit der Luftfeuchtigkeit, dem Luftdruck und vielleicht sogar der Elektrizität in der Luft zu tun haben.

H. H.: Diese Erfahrung haben wir jetzt so noch nicht gemacht. Doch was Kunden festgestellt haben, ist, dass wenn der Lautsänger längere Zeit nicht mehr benutzt wurde und man setzt ihn dann wieder auf, dann dauert es vielleicht paar Augenblicke oder vielleicht auch mal ein paar Minuten, bis er wieder voll zum Tragen kommt. Aber ich würde mal vermuten, dass auch bei einem konventionellen Lautsprecher, beim konventionellen Kopfhörer es wahrscheinlich ähnliche Phänomene gibt. Sie treten besonders auf, wenn das System sehr lange nicht benutzt wurde.

Hans Jenny –

Begründer der Kymatik

Der Schweizer Arzt, Maler, Naturwissenschaftler und Anthroposoph Hans Jenny (1904–1972) entwickelte die Erkenntnisse Chladnis zur von ihm sogenannten Kymatik (von gr. cyma = die Welle) weiter. Sein zweibändiges Werk „Wellenphänomene und Schwingungen“ (Band I) und „Wellen und Schwingungen mit ihrer Struktur und
Dynamik“ (Band II) über die Schwingungslehre beeinflusste zahlreiche Künstler und Musiker weltweit. Auch der bekannte deutsche Musikforscher und Buchautor Joachim Ernst Behrendt
(1922–2000) nimmt in seinem Hauptwerk „Nada Brahma –
Die Welt ist Klang“ Bezug auf Jenny. 

D. S.: Ich spreche dieses Phänomen deshalb an, weil es ein Zeichen für Lebendiges ist. Organische Systeme zeigen ja immer auch eine gewisse Schwankungsbreite, man denke nur an die Herzratenvariabilität. Wenn die nicht schwankt, stimmt was nicht.

H. H.: Nach meiner Meinung ist die größere Breite eher in unserem eigenen Erleben angelegt. Wenn wir in ein Konzert gehen, dann ist das Erlebnis jedenfalls auch von unserer eigenen Tagesform abhängig. Wie öffnen wir uns und wie stark erleben wir dann zum Beispiel diese Klangqualität? Wie intensiv lassen wir uns von dem lebendigen Klang berühren, von diesen Tiefen, den Sphären der Musik? Der Lautsänger ermöglicht durch die Einbindung eben dieses zweiten Prinzips tatsächlich das Eintauchen in die lebendige Sphäre der Musik.

D. S.:  Und das ist für den Ersthörer etwas ganz Neues und Unerwartetes…

H. H.: Das ist ein wichtiger Punkt. Es ist ein neues Erlebnis, Musik zu hören. Manchmal dauert es eine Zeit, um sich einzulassen, weil man erwartet ja technisch wiedergegebene Musik in einer gewissen Art und Weise. Und dann ist es plötzlich ganz anders. Auf einmal ist eine Intensität da, die man so noch nie erlebt hat. Ich denke, das ist der Punkt, wo es einen kurzen Moment braucht, um sich darauf einzulassen. 

Die Lautsänger-Produkte erfordern filigrane Handarbeit
Meze Classics 99 + eingebaute Kymatik = Lautsänger
Modell „Explorer“ im Profil
Das Lautsprechersystem „Phoenix“ von Lautsänger

Kymatik im Klavierbau

D. S.: Auf Ihrer Webseite habe ich gelesen, dass die Klaviermanufaktur Steingräber und Söhne ebenfalls mit Kymatik arbeitet. Werden dort in die Flügel kymatische Organe eingebaut?

H. H.: Steingräber und Söhne ist eine sehr interessante Manufaktur, die hochwertige Meister-Flügel herstellt. Und bei der Herstellung dieser Spitzeninstrumente werden meines Wissens die chladnischen Klangfiguren eingesetzt, um den Klang der Instrumente zu optimieren. Es wird feiner Sand auf den Resonanzböden ausgestreut. Dann wird der ganze Flügel oder der ganze Bereich in Schwingung versetzt, dass er eben anfängt, einen Ton wiederzugeben. Und dann zeigen die chladnischen Klangfiguren, die sich bilden oder auch nur sehr zurückhaltend bilden, wo nachgearbeitet werden muss. Aber der konkrete Einbau kymatischer Organe geschieht bislang nur beim Lautsänger.

D. S.: Habe ich mir gedacht, dass die kymatische Klangveredelung nur dort greift, wo der Klang künstlich erzeugt wird wie in einem Lautsprecher. Aber bei Naturschall, so wie er von einem Musikinstrument kommt, kann man ja eigentlich gar nichts mehr verbessern. Das ist ja eigentlich schon von Natur aus optimal…

H. H.: Genau, eine Geige oder ein Klavier ist bereits original. Natürlich entsprechend seiner intrumentenbaulichen Qualität. Auch hier gibt es verschiedene Ansätze. Bei der technischen Wiedergabe stellt sich die Frage: Warum erlebe ich über einen Lautsprecher oder Kopfhörer eine Geige nicht so lebendig wie im Original? Oder: Warum erlebe ich meine eigene Stimme verfremdet? Und die Erklärung ist die, dass dieses zweite Prinzip, das saugende Kräfteprinzip, was im Original anwesend ist, bei der technischen Wiedergabe bislang fehlte. Dadurch, dass der Lautsänger das zweite Prinzip integriert, haben wir zum ersten Mal diese außergewöhnliche Lebendigkeit. Aber: Wir haben natürlich nicht eine Abbildung eins zu eins, wir haben nicht das Original.

D. S.: Ja, das wäre wohl vermessen…

H. H.: Ja, das wäre vermessen. Aber es ist ein großer Entwicklungsschritt gelungen, indem beide Prinzipien eingebunden sind. Und das ist das Schöne: Wir können mit der Lautsänger-Technologie den riesigen Schatz an Musikaufnahmen, der über Jahrzehnte entstanden ist, zum ersten Mal daheim in seinen musikalischen Tiefen erleben. 

Auf einmal ist eine Intensität da, die man so noch nie erlebt hat.

Naturklang

D. S.: Mein Gedanke war auch, dass man den Lautsänger mit dem Naturschallwandler der Firma Mundus kombiniert. Bei diesem Produkt sind ja Schall-Erregung und Schall-Abstrahlfläche getrennt, weil das ja in der Natur auch so passiert. Könnte man nicht die beiden Prinzipien kombinieren und so quasi „Naturklang“ erzeugen?

H. H.: Das ist ein interessanter Gedanke. Also ich verstehe die Entwicklung des Lautsängers so, dass eine Tür geöffnet wurde. Wir sind hindurch geschritten mit der Kymatik, um eine neue Klang-Qualität zu erzeugen oder umsetzen zu können. Das ist nicht das Ende, ich erlebe das als einen Anfang.

D. S.: Ließe sich das Lautsänger-Prinzip auch auf Hörgeräte übertragen?

H. H.: Sie sind nicht der erste, der danach fragt. Ein Hörgerät ist natürlich noch viel winziger als ein Kopfhörer, eine echte Herausforderung. Dennoch glaube ich aus der Erfahrung der letzten vier Jahre, dass es irgendwann die Möglichkeit geben wird, ein kymatisches Hörgerät zu entwickeln. Es wird dann aber wohl kein Umbau eines bestehenden Hörgeräts sein. Es ist eine Sache, etwas Vorhandenes umzubauen wie beim Lautsänger-Kopfhörer, der ja auf dem Meze Classics 99 basiert, es so zu verändern, dass der Klangsog prinzipiell einwirken kann. Eine ganz andere Sache ist es, das Produkt von Grund auf neu zu entwickeln. Je nachdem, mit welchen Firmen und Menschen wir in Kontakt treten, könne neue Dinge entstehen. Ich glaube, ein großes Projekt wie ein neu zu entwickelndes Hörgerät braucht auch die Verbindungen und die Zusammenarbeit mit Partnern, die entsprechende Kompetenz, Kreativität und Innovationskraft haben. Die Zeit wird es zeigen …

D. S.: Sie empfehlen ja, dass Träger von Hörgeräten den Lautsänger zunächst ohne ihr Hörgerät probieren.

H. H.: Uns haben Kunden rückgemeldet, dass sie eben relativ häufig tatsächlich den Lautsänger hören ohne ihr Hörgerät, ohne Hörhilfe. Ich würde immer empfehlen, es auszuprobieren. Aber ich staune da immer selber und denke, wir stehen noch ganz am Anfang.  

Therapeutisch nutzbar

D. S.: Der Lautsänger soll ja auch bereits therapeutisch eingesetzt werden.

H. H.: Wir hatten das große Glück, dass vor knapp zwei Jahren Ärzte der Universitätsmedizin Heidelberg auf die Lautsänger-Erfindung aufmerksam wurden. Sie haben dann den Kopfhörer gekauft: einmal original den Meze Classics 99 ohne Lautsänger-Kymatik und einmal dasselbe Modell mit der Technologie. Damit haben sie eine kleine Doppelblindstudie mit 100 Probanden gemacht. Es wurde signifikant festgestellt, dass es bereits nach wenigen Minuten Musikhören mit dem Lautsänger zu einer Entspannung des Organismus kommt. Die Arterien fangen an, sich zu weiten, also zu verjüngen. Viele HiFi-Fachleute und Tester haben bestätigt, dass sie das genau so erleben. Sie können eine Stunde lang hören und erleben sich am Schluss immer noch erfrischt und entspannt. Und das hat die Universitätsmedizin Heidelberg tatsächlich messtechnisch bestätigt. Das bedeutet letztlich auch, dass es sich um ein höchst ergonomisches Produkt handelt. Viele unserer Kunden nutzen den Kopfhörer daher auch für Klang- und Sprachmeditationen.

Bereits nach wenigen Minuten Musikhören mit dem Lautsänger kommt es zu einer Entspannung des Organismus. 

D. S.: Entdeckt beziehungsweise entwickelt wurden die kymatischen Organe von dem Künstler und Musikwissenschaftler Atmani. Wissen Sie, wie er dazu kam?

H. H.: Atmani war lange Zeit in Russland am Tschaikowsky Konservatorium und hat da Kompositionsstudien betrieben. Er hat zudem viele Jahre lang die Kymatik erforscht. Dadurch, dass er als Künstler durch die Musik natürlich auch immer wieder mit Lautsprechern und Kopfhörern konfrontiert worden ist und diese stets als problematisch empfunden hat, stellte sich ihm irgendwann die Frage: Was könnte man ändern? Das hat wohl seine Kreativität, seinen Erfindergeist angeregt. So wie ich das verstehe, ist es keine Sache in kurzer Zeit gewesen, sondern über eine sehr lange Periode, bis er dann die entscheidenden Prinzipien gefunden hat und die technische Möglichkeit, den Klangsog mit einzubinden. Zunächst übrigens mit Lautsprechern. Ich glaube, er hätte selber gar nicht so den Weg beschritten, einen Kopfhörer zu modifizieren. Da ist er tatsächlich angesprochen worden von Fachleuten, nachdem die Lautsprecher-Systeme entwickelt waren in den wesentlichen Schritten. Dann hat er gesagt: „Gut, jetzt schaue ich mir die Kopfhörer auch noch an.“

D. S.: Sie bieten ja auch den Service an, bestimmte Kopfhö-
rermodelle wie eben den Meze Classics 99 mit Kymatik nachzurüsten.

H. H.: Es gibt mittlerweile etwa ein halbes Dutzend Kopfhörer-Modelle, die nachgerüstet werden können. Weitere sollen folgen. Das ist ein sogenannter Custom made Service, den wir damit anbieten. Er wurde durch ein neues Fertigungsverfahren möglich, das einen kostengünstigen Einstieg in das Lautsänger-Erleben eröffnet. Wenn man das audiophile Maximum möchte, ist es aber nötig, das in vollständiger Handarbeit zu machen. 

Kymatische Forschung

D. S.: Wie ist der Stand der Wissenschaft heute zur Kymatik? Gibt es überhaupt akademische Forschung dazu?

H. H.: Er werden jedes Jahr zehn bis 15 wissenschaftliche Untersuchungen zu den chladnischen Klangfiguren veröffentlicht. Die Forschungen dazu sind noch nicht an einem Ende angekommen. Selbst der allererste Versuch der chladnischen Klangfiguren von vor ungefähr 200 Jahren ist noch nicht abschließend erforscht. Michael Faraday, der ein ausgezeichneter Beobachter war, hat mit sehr feinem Pulver chladnische Versuche durchgeführt und festgestellt, dass es gar nicht so wesentlich die Metallplatte ist, sondern vor allem die Luft, welche die Figuren formt.

D. S.: Es soll aber auch im Vakuum funktionieren.

H. H.: Genau, diese Versuche wurden auch schon im Vakuum gemacht. Auch wenn die Luftsphäre fehlt, tritt dieser Entstehungsimpuls auf, die Formen bilden sich allerdings schwächer aus. Man darf aber nicht bei den hübschen Bildern stehenbleiben. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine einseitige Prägung ergeben, sodass man denkt, es handele sich einfach nur um statische ästhetische Bilder. Tatsächlich handelt sich um ein fortlaufendes Geschehen wie bei einem Organismus. Wenn man selber mal eine Platte mit einem Bogen anstreicht und genau hinsieht, wird man feststellen, dass die Figur in Bewegung bleibt, solange man weiter streicht. Streicht man ein bis zwei Minuten, richtet sich die Aufmerksamkeit plötzlich nicht mehr auf die Figur, sondern die Sinne öffnen sich für den Prozess: Die Figur fließt und verändert sich fortlaufend. Und da sind wir in diesem Prozessualen, was ja den Lautsänger auszeichnet. Denn der Klangsog ist ebenfalls kein statischer Moment, der plötzlich und unveränderlich da ist, sondern es handelt sich um ein prozessuales, ja lebendiges Geschehen.

Autor

Detlef Scholz
Dipl.-Phys.

studierte Physik in Münster. Danach siedelte er nach München über und arbeitete dort als Ingenieur. Seit Mitte der neunziger Jahre ist er als Fachjournalist tätig.

Bildnachweis Einstiegsbild: © Maxim; Sarah/Adobe Stock; Collage raum&zeit