Wüstenbegrünung in Rajasthan

– ein Inder zeigt der Welt, wie‘s geht

Rajendra Singh ist bekannt als „Wasser-Ghandi”. In seiner Heimat Rajasthan rief er eine Volksbewegung ins Leben, die mittlerweile etwa 11 000 „Johads“ gebaut hat: einfache Konstruktionen aus Holz und Stein, die das Abfließen des Regenwassers verlangsamen und ihm Zeit geben, wieder in die Erde einzusickern. Das Ergebnis: Eine Halbwüste von einigen tausend Quadratkilometern im Alwar-Distrikt wurde wieder fruchtbar.

Von Leila Dregger, Tamera, Portugal

Wer ihn einmal erlebt hat, vergisst ihn nicht. Mit rollenden Augen, überschäumendem Lachen, manchmal sogar spontanem Gesang, immer aber mit bestechenden Argumenten und unbestechlichem Willen vertritt er die Sache des Wassers – ob vor Bauern und Hausfrauen, vor Wasseraktivisten in aller Welt oder vor Unternehmern und Politikern im renommierten Weltwasserforum. Das abgelegene Dorf in Rajasthan, in dem Rajendrah Singh im August 1959 geboren wurde, ähnelt all den tausenden Dörfern, denen er heute hilft: halbverlassene Ansiedlungen in einer sich ausbreitenden Halbwüste. Die Äcker bringen immer weniger Ertrag, es gibt keine Arbeit für die Männer und schwindende Lebensgrundlagen. Die Wälder wurden in der ganzen Region abgeholzt, der Regen blieb aus. Jede Dorfbevölkerung suchte ihren eigenen Weg, mit dieser schleichenden Katastrophe umzugehen, ganz als sei es ein lokales Problem. Doch es handelt sich um ein globales. Rajendra Singh: „Wir können als Menschheit nicht überleben, ohne ein neues Wasser-Paradigma zu entwickeln. Ohne eine globale Wasser-Strategie können wir die Klimakrise nicht lösen. Damit aber eine globale Strategie wirksam wird, braucht sie lokale Modelle und erfolgreiche Beispiele.”

Wasser ist Leben

Seine eigene Arbeit begann 1984. Rajendra hatte Medizin studiert und ging als Arzt aufs Land, um den verzweifelten Bewohnern einiger Dörfer in Rajasthan seine Dienste anzubieten. „Das Land litt damals unter einer fürchterlichen Dürre. In den Dörfern lebten fast nur noch alte Menschen, die ich medizinisch versorgte.”Nach sieben Monaten mühseliger und deprimierender Arbeit kam ein alter Mann zu ihm in die Praxis und sagte: „Rajendra, was machst du hier? Wir brauchen deine Medizin und deinen ärztlichen Rat nicht. Wir brauchen Wasser. Die Menschen verlassen das Land oder werden krank, weil es kein Wasser gibt.“ 

Rajendra antwortete, er wisse nicht, was er für das Wasser tun könne, schließlich sei er kein Ingenieur. Da antwortete der Alte: „Ich kann es dir zeigen.“ Er nahm den jungen Arzt zwei Tage lang mit übers Land und zeigte ihm, wie das Wasser fließt, über Hänge, an Bäumen und Wurzeln vorbei, und welche feinen Strukturen es in der Erde hinterlässt. „Er lehrte mich im Grunde Basiswissen der Hydrologie. Seine Wissenschaft war die des gesunden Menschenverstandes, nicht die des Profits. Er erklärte mir auch, wie wir diese Strukturen nachbauen können, damit das Wasser wieder in die Erde eindringt.”

„Wir können als Menschheit nicht überleben, ohne ein neues Wasser-Paradigma zu
entwickeln. Ohne eine globale Wasser-Strategie können wir die Klimakrise nicht lösen.“

– Rajendra Singh

Das Wasser lenken

Motiviert durch diese Lehre beschloss er, sich fortan für die Basis der Gesundheit einzusetzen, das Wasser. „Ich holte mir Hacke, Spaten und Schubkarren und begann mit der Arbeit. Ganz allein baute ich eine erste Struktur aus Holz, Erde und Steinen, eine Art Damm, der den Abfluss des Regenwassers verlangsamen sollte. Am Anfang war es nicht einfach, ich musste herumexperimentieren. Die Dorfbewohner schauten mir skeptisch zu.
Einige sagten: Du bist ja verrückt!“

Doch Rajendra machte weiter, und nach einigen Wochen harter Arbeit von 14 Stunden täglich war die erste Struktur fertig. „Wir Inder glauben an das, was wir sehen, nicht an Konzepte und Ideen. Jetzt sahen die Dorfbewohner mit eigenen Augen, wie das Regenwasser sich in diesem ersten ,Johad´ sammelte. Als dann wenige Wochen später die Brunnen flussabwärts wieder Wasser führten, glaubten sie mir. Ab da gab es kein Halten mehr.”
Es war der Beginn einer Volksbewegung. Zunächst in einem Dorf, dann im Nachbardorf und dann in immer weiterem Radius begannen die Menschen mit dem Bau dieser simplen, wundersamen Struktur. Immer lud ein Dorf, bevor es mit dem Bau begann, erstmal „den Doktor“ ein, um sich von ihm beraten zu lassen. Auch heute noch kann Rajendra vor Lachen kaum an sich halten, wenn er sich an diese Zeit erinnert: „Man sagt über mich, ich hätte 11 000 Johads gebaut. Wissen Sie, wie viele ich wirklich gebaut habe? Einen einzigen. Nur einen! Aber dieses Beispiel wurde aufgegriffen und viele Male wiederholt. Es war das Volk selbst, die Dorfbewohner, die diese 11 000 Wasserkörper schufen.”

Pflanzen, Tiere und Menschen kehren zurück

Mit dem Wasser verbesserte sich die Situation einer ganzen Region. Das Regenwasser floss nicht mehr rasch ab, sondern wurde so verlangsamt, dass es in den Boden sickern konnte. Diese einfache Tatsache veränderte alles: Fruchtbarer Boden wurde nicht mehr abgeschwemmt. Die Erde hielt die Feuchtigkeit. Felder wurden wieder fruchtbar, Tiere fanden Futter, das Grundwasser stieg. Die Männer, die im ganzen Land nach Arbeit gesucht hatten, kehrten heim und nahmen ihre Feldarbeit und die Handwerke wieder auf. Einige tausend Dörfer füllten sich wieder mit Menschen und Leben. Die Menschen vergaßen durch die Mahnung Rajendras auch nicht, die Wälder wieder aufzuforsten und zu schützen – als Garant ihres nachwachsenden Wohlstandes. Mindestens fünf Flüsse, die zuvor in den Trockenzeiten versickert waren, fließen heute wieder ganzjährig. Fast 2 000 Dörfer bieten wieder Lebensqualität für ihre Bewohner. Durch lokale Maßnahmen wurde eine ganze Region regeneriert. Auch als Wirtschaftsraum wurde die Region wieder attraktiv. Doch heute leisten, wie Rajendra berichtet, die Bewohner Widerstand, wenn Agrarkonzerne, Forst- oder Bergbaubetriebe wieder aktiv werden wollen. In Flussparlamenten schlossen sich die Dörfer zusammen und entscheiden jetzt gemeinsam über die Nutzung des Wassers, der Ufer und der anliegenden Ländereien. 2015 erhielt Rajendra den Stockholmer Wasser Preis. Die britische Zeitschrift The Guardian nahm ihn auf in die Liste der „50 Menschen, die den Planeten retten könnten“.

Wüste
Paradies
Wüste
Paradies

„Das Land litt damals unter einer fürchterlichen Dürre. […] Wenn Sie aber heute in meine Gegend kommen, finden Sie eine grüne Region mit Flüssen, Wäldern und lebendigen Dörfern vor.“

– Rajendra Singh

Wälder bewahren Wasser

„Wir müssen die Wasser-Situation in Rajasthan verstehen, um zu begreifen, warum diese Arbeit auch im globalen Maßstab wichtig ist”, mahnt Rajendra, und erklärt: Rajasthan ist eine Region mit einer Niederschlagsmenge von unter 250 mm pro Jahr; in Deutschland sind es zum Vergleich durchschnittlich 850 mm. Dennoch reichte das Wasser in der Vergangenheit für die Bevölkerung, jedenfalls so lange die Wälder noch standen und das Grundwasser geschützt war. Bauern konnten Land bestellen und Tiere halten. In den Zeiten der Unabhängigkeitsbestrebungen Indiens aber wechselten die Ländereien immer wieder die Besitzer. Niemand kümmerte sich in dieser Zeit um die Wälder. Jeder versuchte, in kürzester Zeit möglichst viel zu verdienen. Das Resultat: Die Wälder wurden innerhalb kurzer Zeit abgeholzt. Ohne ihre grüne Bedeckung wurde die fruchtbare Erde vom Regen schnell weggewaschen. Die Folge: Der Boden verhärtete, das Regenwasser sank nicht mehr in die Erde und konnte die Grundwasservorräte auch nicht mehr auffüllen.

Damals verlangte die Regierung von den Bauern, mehr Getreide anzupflanzen. Aber dazu braucht man Wasser. Hunderte von Bohrlöchern wurden gegraben, mit denen das Wasser aus immer tieferen Erdschichten nach oben befördert wurde. Es war ein gnadenloser Raubbau der Grundwasservorräte. Wie in vielen anderen Gebieten der Erde begannen sie auch hier abzusinken. Die Region trocknete immer mehr aus und verwandelte sich innerhalb weniger Jahrzehnte in eine Wüste. Quellen und Bäche versiegten. Menschen zogen fort. Rajendras Dorf war fast menschenleer geworden.

Rajendra: „Wenn Sie aber heute in meine Gegend kommen, finden Sie eine grüne Region mit Flüssen, Wäldern und lebendigen Dörfern vor. Überall kommt die Natur zurück, flussabwärts erhalten die Täler wieder Wasser. Vertreter aus Iran, Irak, Afghanistan, Pakistan besuchen uns, um zu lernen, wie man das Wasser mit Hilfe einer aktiven Dorfgemeinschaft erhalten kann. Wenn man der Natur auch nur eine helfende Hand reicht, gibt sie es tausendfach zurück.”
Rajendra ist sicher: „Unsere Erfahrung kann der Welt einen Weg weisen für den Schutz von Wasser und Erde für das 21. Jahrhundert. Das Wasser wird dem Planeten Frieden bringen.”

Dieses Wissen kann vielen Ländern helfen

In den vergangenen Jahren besuchte der Wasser-Gandhi mehr als 60 Länder. Er wurde in Dürre- und Krisenregionen eingeladen, nach Afrika, in den Nahen Osten, nach Kalifornien, das unter Waldbrand und Dürren leidet. Überall sah und erklärte er den Zusammenhang von Wasser, regionaler Selbstbestimmung und Frieden. In einigen Ländern – in Portugal, Slowenien und Australien – traf er Initiativen, die nach dem gleichen Prinzip der Wasserretention arbeiten, jeweils angepasst an die regionalen Bedingungen mit Check-Dams, Swales oder Wasserretentionsteichen: Das Prinzip ist immer dasselbe. Gemeinsam formulierten die Wasserschützer einen globalen Aktionsplan, um weltweit durch lokale Aktionen Wasser und Klima zu retten. 1
Rajendra: „Wir müssen auf verschiedenen Ebenen arbeiten. Ich glaube an lokale Beispiele weltweit, wenn sie von einer globalen Strategie begleitet sind. Wir müssen das globale Wasserparadigma verändern. Heute haben wir überall auf der Welt ein zentralisiertes Wassermanagement. Wasser ist zur Ware geworden. Das verursacht Ungerechtigkeiten und Spannungen. Es gibt sehr viele Menschen, die kaum noch Wasser, und wenige, die viel haben.” 

Das neue Wasserparadigma vertritt er in allen Gremien, auch im Weltwasserforum: „Es besteht aus dezentralem Wassermanagement in den Händen von Gemeinden und Gemeinschaften. Das ist die Antwort auf die Wasser- und Klimakrisen des 21.
Jahrhunderts.”
 

Fußnoten

1 „Konzepte gegen Wüstenbildung und Wasserkriege. Vom lebensspendenden Fluss des Regens“, raum&zeit Nr. 205/2017

Autorin

Leila Dregger
Leila Dregger
Dipl.-Ing. agr.

Leila Dregger, Agrar-Ingenieurin, Theater-Autorin, Journalistin und Lehrerin für Friedensjournalismus war Herausgeberin der Zeitschrift „Weibliche Stimme – für eine Politik des Herzens“. Heute arbeitet und lebt sie in Tamera, Portugal, und bereist Dorf-, Gemeinschafts- und Friedensprojekte in allen Kontinenten, um über sie zu berichten. Vorstandsmitglied von Green Phoenix e. V.

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