Im Jahre 1905 veröffentlichten zwei russische Wissenschaftler, Gulewitsch und Krimberg, in Hoppe-Seyler‘s Archiv, einem der Prestige-Blätter der damals weltfu hrenden deutschen Medizin eine wichtige Entdeckung: Sie hatten im Muskelgewebe von Säugetieren eine Substanz gefunden, die offensichtlich fu r die biochemische Funktion der Muskeln von un verzichtbarer Bedeutung ist. Sie nannten diese Substanz Carnitin, abgeleitet von dem lateinischen Wort Carnis (Fleisch). Krimberg schlug damals bereits die vermutliche chemische Formel fu r Carnitin vor: 3,3-Hydroxy-IV-N-Trimethylamino-Butyrat. Wie sich viel später herausstellte, war dieser Formelvorschlag richtig. Aus der heutigen Sicht können wir nur die außerordentlich wissenschaftlichen Leistungen der damaligen Zeit bewundern. Während meiner Tätigkeit im Paul Ehrlich Institut 1958-1960 habe ich in den bedeutenden wissenschaftlichen Archiven der Jahre zwischen 1896-1912 ausgiebig herumgestöbert. Die biologischen und medizinischen Leistungen jener Zeit sind in Wirklichkeit atemberaubend, bedingt offensichtlich durch eine heute kaum mehr vorstellbare Großzu gigkeit und Freizu gigkeit der geistig-wissenschaftlichen Konzeptionen. Wir werden uns bei Gelegenheit in raum&zeit damit befassen, warum diese Entwicklung kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges eine schmerzliche Abflachung erfuhr, welche Faktoren dabei wirksam waren, und ob das heute weithin trostlose Gebilde, in Deutschland „Schulmedizin“, in Amerika „orthodoxe Medizin“ genannt, vielleicht hier seine geschichtlichen Wurzeln hat.
Carnitin – Triumph und Skandal
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Im Jahre 1905 veröffentlichten zwei russische Wissenschaftler, Gulewitsch und Krimberg, in Hoppe-Seyler’s Archiv, einem der Prestige-Blätter der damals weltfu hrenden deutschen Medizin eine wichtige Entdeckung: Sie hatten im Muskelgewebe von Säugetie