Die „kognitive Kriegsführung“ gilt als fortschrittlichste Form der Manipulation auf breiter Front. Sie zählt zu den sogenannten Soft-Power-Techniken, die von Militär und Politik in wachsendem Maße eingesetzt werden. Im Visier steht dabei nicht nur die Bevölkerung des Gegners, sondern auch die eigene. Der Propagandaforscher Dr. Jonas Tögel erläutert im Interview die Militarisierung der Gedanken.
Interview mit Dr. Jonas Tögel
raum&zeit: Die kognitive Kriegsführung ist ja ein Teilgebiet der Propaganda. Gibt es eigentlich eine allgemeine Definition von Propaganda?
Dr. Jonas Tögel: Es gibt in der Forschung verschiedene Definitionen von Propaganda. Eine eindeutige Definition von Propaganda hat jedoch den Nachteil, dass sie das derzeitige Begriffswirrwarr nicht auflöst: Es gibt Begriffe wie kognitive Kriegsführung, psychologische Kriegsführung, Informationskriegsführung, Propaganda, Public Relations, strategische Kommunikation etc. Irgendwann hat man so viele Begriffe, dass man sich kaum mehr auskennt. Der gemeinsame Nenner all dieser Begriffe ist das Konzept der Soft Power. Diese wiederum könnte man mit Verweis auf den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph Nye als Einflussstrategien bezeichnen: Man bringt jemand dazu, nach dem eigenen Willen zu handeln, ohne dass man Gewalt oder Zwang anwendet. Das sind psychologisch gut erforschte Mechanismen, die alle unterhalb der psychologischen Wahrnehmungsschwelle für Gewalt agieren. Deswegen entwickeln wir auch keinen Widerstand dagegen. Das ist der Kern von Soft Power: eine mit vielen Vorzügen verbundene unterschwellige Art der Machtausübung, die wir meist nicht bemerken.
r&z: In Ihrem Buch gehen Sie vor allem auf die kognitive Kriegsführung der NATO ein. Was ist das Besondere daran?
Dr. J. T.: Die Kognitive Kriegsführung der NATO gibt es seit 2020/2021. Es ist ein gut dokumentiertes Programm der NATO. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es entsprechende Programme in Russland, China und weiteren Ländern ebenfalls gibt. Allerdings kann ich aufgrund der Sprachbarrieren keinen profunden Einblick in deren Programme nehmen und lege als Amerikanist meinen Fokus auch auf den anglo-amerikanischen Sprachraum und in diesem Fall die Bemühungen der NATO. Die Methoden der strategischen Manipulation sind in den letzten 100-120 Jahren immer weiter verfeinert worden. Ihre Anzahl hat zugenommen. Momentan haben wir eine Bedeutungsverschiebung: weg von Hard Power, die es natürlich nach wie vor gibt. Es gibt immer noch Kriege, aber aus psychologischer Perspektive ist es so, dass die kinetische Gewalt immer Widerstand hervorruft. Die Militärs haben natürlich die Bedeutungsverschiebung hin zu Soft Power erkannt. Die kognitive Kriegsführung ist die modernste und extremste Form der Anwendung von Soft-Power-Techniken. Knapp zusammengefasst ist die kognitive Kriegsführung die modernste Form der Manipulation. Das sagt auch die französische Verteidigungsexpertin Marie-Pierre Raymond im Zusammenhang mit einem Innovationswettbewerb der kognitiven Kriegsführung.