Die japanische Philosophie eignet sich gut als psychotherapeutische Begleithilfe für Menschen, die auf ihrem Selbstfindungsweg Begleitung und Unterstützung suchen. Wofür stehen wir morgens auf? Coach und Psychotherapeut Joachim Armbrust hat gute Erfahrungen mit der japanischen Interpretation vom Sinn des Lebens gemacht – unter anderem bei sich selbst.
Beim japanischen Ikigai geht es um nichts weniger, als den Sinn des Lebens – und da gibt es viel zu entdecken. Diese Suche ist eine Reise zu sich selbst, auf der man viel Neues über das Leben und vor allem über seinen eigenen Weg lernen kann. Ikigai ist ein Weg, der darauf abzielt, das persönliche Glück und die innere Zufriedenheit sowie die unterstützende Resonanzfähigkeit mit sich selbst durch die Identifikation mit dem eigenen Tun – das sich aus den angelegten, persönlichen Schätzen ergibt – und dem Verfolgen von Leidenschaften wie den eigenen Zielen, zu fördern. Dabei steht nicht die Ergebnisorientierung (also, der eigene Anspruch an sich selbst oder der Vergleich mit anderen im Vordergrund), sondern die schöpferisch gestaltete Gegenwärtigkeit und das damit verbundene erfahrbare Tun.
Ikigai erzeugt das Gefühl, dass wir uns bereits in der Zukunft bewegen, dass wir eigentlich schon da sind, wohin wir in der Gegenwart wollen. Die Zukunft ruft uns zur Verwirklichung des noch Ungelebten. Das kann sinnstiftend und herzöffnend auf uns wirken und dazu beitragen, dass wir uns auf jeden gelebten Moment freuen, weil er dem noch Ungelebten Gestalt gibt. Mit der gelebten Erfüllung einer erst nur gedachten Gestalt fließt uns aus der Zukunft das Gefühl von schöpferischer Wirksamkeit, von Glück und Freude in der Gegenwart zu.
Den Begriff Ikigai nutzen Japaner, wenn sie zum Ausdruck bringen wollen, dass etwas „lebenswert“ ist oder etwas das Leben „wertvoll“ macht. Es ist mehr als unser Berufsleben. Es kann etwas ganz Persönliches sein. Es kann all das sein, was uns wertvoll erscheint. Ikigai wird lebendig, wenn wir es in seiner Offenheit und in seiner Weite begreifen. Die Komplexität von Ikigai spiegelt die gesamte Komplexität des Lebens selbst wider. Das gilt auch für unseren eigenen Lebenssinn, den wir uns kreieren. Ikigai ist individuell. Es drückt sich darin auch nichts Feststehendes, sondern ein Tätigsein aus. Ikigai können wir in allen Lebensmomenten erfahren, bei einem Sonnenaufgang, bei einer freundlichen Begegnung, wenn wir uns durch einen anderen Menschen in einem ureigenen Wesenszug erkannt fühlen oder auch, wenn uns etwas plötzlich glückt, an dem wir lange gefeilt haben. Ikigai kann uns im Alltag begleiten als eine immer wieder neu erlebte Qualität, wenn wir es schon länger einladen. Oder es kann uns überraschen, wenn wir am wenigsten damit rechnen. Der Qualität von Ikigai können wir also in großen wie in kleinen Dingen des Lebens begegnen. Das macht Ikigai so vielfältig wie das Leben selbst.